VOGELSCHUTZ 4-23

VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN magazin 4|2023 Offener Austausch Naturfilmer Jan Haft will mehr Artenvielfalt durch Beweidung Hilfreiche Regeln Heinrich Bedford-Strohm sieht Grenzen bei der Freiwilligkeit Nutzlose Polemik Politik muss Konflikte um Tiere sachlich angehen Kompromisse, Erfolge, Konflikte Schützt die Natur!

2 LBV MAGAZIN 4|23 Für mehr Informationen bitte einfach den Coupon ausschneiden, ausfüllen und zurückschicken an: LBV-Landesgeschäftsstelle, z. Hd. Herrn Koller Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein E-Mail: gerhard.koller@lbv.de | Tel.: 09174-4775-7010 Wenn Sie Ihren Nachlass zum Wohle der Natur einsetzen, dann hinterlassen Sie Spuren weit über Ihre Lebenszeit hinaus. Sie tragen dazu bei, nachfolgenden Generationen eine intakte Heimat zu hinterlassen, indem Sie den LBV und/oder die LBV-Stiftung Bayerisches Naturerbe in Ihrem Nachlass bedenken. Denn wir schützen Bayerns Natur erfolgreich seit nunmehr 110 Jahren. Wir behandeln Ihr Anliegen absolut vertraulich und auf Wunsch pflanzen wir gemeinsam einen Apfelbaum. Rücksende-Coupon Der LBV erhebt und verarbeitet Ihre personenbezogenen Daten ausschließlich für Vereinszwecke. Dabei werden Ihre Daten nur für LBV-eigene Informations- und Werbezwecke verarbeitet und genutzt. Dieser Verwendung Ihrer Daten können Sie jederzeit, z.B. an mitgliederservice@lbv.de, widersprechen. Detaillierte Informationen zur Datenschutzerklärung des LBV finden Sie online unter: www.lbv.de/datenschutz ABSENDER Name, Vorname Straße, Hausnummer PLZ, Ort Ja, schicken Sie mir den LBV-Ratgeber Erbschaft. Ja, ich bitte auch um Übersendung der Unterlagen für die Stiftung Bayerisches Naturerbe Ja, ich kann mir vorstellen, den LBV oder/und die Stiftung in meinem Testament zu berücksichtigen. Ich möchte gerne mehr wissen. Rufen Sie mich an: Tel.: Ich bin am besten erreichbar: FOTOS: DR. EBERHARD PFEUFFER, LENA BUCKREUS Ihr Nachlass fur die Natur! „So lasst uns denn ein Apfelbaumchen pflanzen.“ .. ..

LBV MAGAZIN 4|23 3 2023 war für uns Naturschützende ein schweres Jahr. Aufgrund der vielen Krisen ist nicht nur die Klimakatastrophe in der Aufmerksamkeit mittlerweile stark in den Hintergrund geraten. Das mindestens genauso bedrohliche Artensterben ist sogar nahezu aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden und spielt keine Rolle mehr. Die Krise der Biodiversität scheint unverstanden, doch werden wir als LBV nicht aufhören, uns für unser Kernanliegen, den Schutz der Artenvielfalt, weiter unermüdlich einzusetzen. Ein Blick in den Koalitionsvertrag der neuen Bayerischen Staatsregierung lässt leider auch in der kommenden Legislaturperiode nichts Gutes für Bayerns Natur erwarten. Wegweisende Ziele für wirksamen Artenschutz sind Fehlanzeige. Von der Aufbruchstimmung 2019 durch unser erfolgreiches Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ ist in der bayerischen Politik schon länger nichts mehr zu spüren, doch wir werden weiter an die bestehenden Gesetze erinnern. Ohne hartnäckigen Einsatz für jede einzelne Art droht uns in der nahen Zukunft mindestens der Stillstand für den Artenschutz. Als LBV ringen wir dabei schon seit jeher um Kompromisse, doch auch diese haben Grenzen, wie Sie in dieser Ausgabe nachlesen können. Liebe Leserinnen und Leser, Zurück zum Naturschutz! Viel Spaß beim Lesen! Ihr Markus Erlwein Chefredakteur Auf der LBV-Delegiertenversammlung in Straubing betonte der Regierungspräsident von Niederbayern, Rainer Haselbeck, in seinem Grußwort die gesellschaftliche Rolle des LBV und schloss mit den Worten: „Mehr LBV kann unserer Gesellschaft nur guttun.“ Mehr LBV bitte! E D I T O R I A L FOTO: TOBIAS TSCHAPKA Tagesaktuelle Nachrichten finden Sie unter lbv.de/newsletter lbv_bayern lbv.de VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN LBV magazin

4 LBV MAGAZIN 4|23 klima-druck.de · ID-Nr. 23155980 Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. www.blauer-engel.de/uz195 · ressourcenschonend und · umweltfreundlich hergestellt · emissionsarm gedruckt XW1 überwiegend aus Altpapier Sie lesen klimaneutral und umweltfreundlich 6 Im Fokus Zugvögel im Winterquartier 8 Leserbriefe 9 Kurzmeldungen 10 Standpunkt Dr. Norbert Schäffer 12 Die Grenzen der Freiwilligkeit Heinrich Bedford-Strohm: Warum Klimagerechtigkeit feste Regeln braucht 14 Tiere als politischer Spielball Management und Recht statt Polemik 19 LBV-Mitgliedschaft verschenken Machen Sie anderen eine Freude zum Fest 20 Fasziniert von Arten Artenschutz-Höhepunkte aus dem Jahr 2023 22 Wilde Weiden Diskussionsbeitrag von Jan Haft für mehr Artenvielfalt durch Beweidung 26 Spendenaktion Ein Geschenk für die Natur 14 20 12 Tiere dürfen kein politischer Spielball sein. Gute Nachrichten aus unseren Vogelschutzprojekten. Ein Diskussionsbeitrag von Jan Haft über Beweidung für mehr Artenvielfalt. TITELBILD: UHU | DIETER HOPF FOTOS: FRANK DERER, CONORCROWE - STOCK.ADOBE.COM, MARKUS GLÄSSEL, OLIVER WITTIG, ANITA SCHÄFFER, ANGELA ROHDE - STOCK.ADOBE.COM, SWAROVSKI I NH A L T 22 Heinrich Bedford-Strohm über Regeln für Klimagerechtigkeit. INHALT

LBV MAGAZIN 4|23 5 36 44 Der Waschbär ist immer häufiger auch in Gärten anzutreffen. So machen Sie selbst Fettfutter für Vögel. Einhefter • Überweisungsträger für Ihre Weihnachtsspende • Meldebogen Stunde der Wintervögel 28 LBV AKTIV 34 NAJU Neues von der Naturschutzjugend im LBV 36 Ratgeber Fettfutterkuchen für Vögel selber machen 38 Schutzgebiet Erweiterung des Naturschutzgebiets Büg 40 Erbschaft Ihr Erbe bewirkt Gutes 42 Umweltbildung Die lange Erfolgsgeschichte der LBV- Umweltstationen 44 Garten Der Waschbär 46 Stiftung Neue Flaggschiffprojekte 47 Test Neues Mini-Spektiv von Swarovski Optik 48 Medien Buchempfehlungen 49 Kleinanzeigen 50 Impressum und Kontakte GESCHENKE 2023 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de Der neue Naturshop-Katalog ist da Schlüsselanhänger Serviettenringe Deko-Magnete Fliegende Vögel - ANZEIGE - 47 Neues MiniSpektiv im Test.

WEISSSTÖRCHE IN SÜDAFRIKA | FOTO: PACO COMO - STOCK.ADOBE.COM Die bei uns heimischen Vögel, die auf Insekten als Nahrung angewiesen sind, verbringen das Winterhalbjahr im warmen Süden. So zieht es dabei einige unserer Weißstörche bis nach West- oder Ostafrika und manche fliegen sogar 10.000 Kilometer bis nach Südafrika, um neben Elefanten auf Nahrungssuche zu gehen. UNSERE ZUGVÖGEL IM WINTERQUARTIER 6 LBV MAGAZIN 4|23

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8 LBV MAGAZIN 4|23 L E S E R B R I E F E Urlaub und Klima Jeder Deutsche verursachte – je nach Berechnungsmethode – im Jahr 2019 einen CO2-Ausstoß von 11,2 bis 15,2 Tonnen. Um die Klimaerwärmung auf 2 °C zu begrenzen, steht jeder Person in Deutschland ein Klimabudget von 2.300 kg CO2 pro Jahr zur Verfügung. Wer mit einem Verbrenner-Auto täglich 35 km (ca. 12.500 km pro Jahr) zurücklegt, hat von diesem Budget schon 2.000 kg verbraucht. Dazu kommen weitere CO2-Quellen wie Haushalt, Freizeitaktivitäten, Urlaub etc. Zum Vergleich: Der Jahresverbrauch eines Äthiopiers beträgt 560 kg CO2. Folgende Informationen sollen bei der Planung eines klimaschonenden Urlaubs helfen: • 10 Tage Busreise nach Frankreich (Schlösser der Loire): 495 kg CO2. • 8 Tage Bahn- bzw. Fahrradreise: 300 bzw. 250 kg CO2. • 8-tägige Flugreise nach Griechenland (Frankfurt–Athen): 1.010 kg CO2. • 8-tägige Reise nach Ägypten (kombiniert Flug und 4 Tage Schiff): 1.050 kg CO2. Zum Editorial „Perspektiven für die Zukunft“ (3/23) Lieber Zuversicht verbreiten Mit der Aussage „Lohnt es sich überhaupt, Kinder in diese Welt zu setzen, wenn…“ begeben Sie sich genau auf das Niveau des politischen Gegners, der polarisieren will, jedoch nicht die sachliche Auseinandersetzung sucht. Mir geht es nicht darum, die Welt in den schillerndsten Farben Wiedehopf-Beobachtung am Karlsfelder See Zu meiner großen Freude habe ich Mitte August am Westufer des belebten Karlsfelder Sees auf Höhe des Abenteuerspielplatzes einen Wiedehopf beobachten und sogar ein Belegfoto davon machen können. Michael Matziol, 85757 Karlsfeld Eisvogel am Gartenteich Schon seit ein paar Jahren kommt ein Eisvogel an unseren Gartenteich im schönen Ellertal bei Bamberg und holt sich die Molche. Am Anfang war er sehr scheu, mittlerweile läßt er sich gut beobachten und sogar fotografieren! Alexandra Gropp, 96123 Litzendorf FOTOS: ALEXANDRA GROPP, MICHAEL MATZIOL, HERBERT HUBER. MARTIN ZELLNER, E. KLOOS, NABU Ihre Meinung ist uns wichtig! Schreiben Sie uns unter leserbriefe@lbv.de oder per Post an Redaktion LBV magazin, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein. Die Redaktion behält sich aus Platzgründen eine Auswahl und das Kürzen von Leserzuschriften vor. Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. i Post • 17 Tage Hawaii (Flug und 7 Tage Schiff): 11.300 kg CO2. Diese Beispiele beinhalten Essen, Gebühren etc. Und zeigen auf, dass es erheblich klimafreundlicher ist, mit der Bahn oder dem Bus zu verreisen, als Flugzeug oder Schiff zu benutzen. Wenn es eine Flug- oder Schiffsreise sein soll, dann wählen Sie einen Reiseveranstalter, der die CO2-Emissionen vollständig kompensiert. Sollte das nicht der Fall sein, dann sollte die Kompensation bei z.B. Atmosfair (www.atmosfair. de) selbst vorgenommen werden, wobei hier viel zu geringe CO2-Preise angesetzt werden. Das Umweltbundesamt empfiehlt die Verwendung eines Kostensatzes von 195,- bis 680,- Euro je Tonne CO2, je nachdem, wie stark die Wohlfahrt zukünftiger Generationen berücksichtigt wird. Deswegen sollten sich alle an den höheren Kostensätzen orientieren. Im Falle der 8-tägigen Flugreise nach Griechenland wären das 687,- Euro, wenn irgendmöglich über 344,- Euro. Das sollten uns das Klima, der Artenschutz und vor allem die Wohlfahrt unserer Nachkommen wert sein. Franz Amann & Martin Knab, 96114 Hirschaid schön zu reden, aber mit Begeisterung aufzuzeigen, was den Wandel / die Veränderung ermöglicht, bringt auch die Politik möglicherweise zum Nachdenken. Die aktuellen Beiträge im LBV-Magazin sind ein phantastischer Spiegel dessen, was Menschen mit Zuversicht vermögen. Und genau darum geht es doch, Zuversicht zu verbreiten, Veränderung im positiven Sinne einzufordern, aber nicht um das Schüren von Zukunftsängsten. Christoph Kähny, 86420 Diedorf

Kiebitz ist Vogel des Jahres 2024 Das Braunkehlchen hat einen Nachfolger: 2024 löst es der Kiebitz als Vogel des Jahres ab. Bei der öffentlichen Wahl sicherte sich der „Gaukler der Lüfte“ mit knapp 28 Prozent der Stimmen den Titel. Auf dem Siegertreppchen folgen ihm der Steinkauz mit 23 und das Rebhuhn mit 22 Prozent. Die Rauchschwalbe wählten die Teilnehmenden mit 19 Prozent auf Platz vier. Schlusslicht ist der Wespenbussard mit rund 9 Prozent. Deutschlandweit haben etwa 120.000 Menschen an der Wahl teilgenommen, davon fast 19.000 aus Bayern. Die Bestände des Kiebitzes sind in den vergangenen Jahren dramatisch zurückgegangen, er gilt deutschlandweit als stark gefährdet. Als Vogel des Jahres steht er für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft, die unter anderem durch intensive Landwirtschaft bedroht ist. Gezwitscher Ornithologenszene zu Gast in Augsburg Über 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Europa nahmen an einer viertägigen Veranstaltung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) an der Universität Augsburg teil. Der LBV organisierte die Veranstaltung gemeinsam mit dem Naturwissenschaftlichen Verein Schwaben und der Staatlichen Vogelschutzwarte. Isabel Rohde (NAJU), Martin Trapp (KG Augsburg) und Philipp Herrmann (Artenschutzreferat) organisierten mit 20 Ehrenamtlichen das Tagungsbüro. Über 100 wissenschaftliche Vorträge und Posterbeiträge füllten das Tagungsprogramm. Einer der Schwerpunkte war die Alpenornithologie. Highlight war außerdem der öffentliche Vortrag von Projektleiter Toni Wegscheider (KG Berchtesgadener Land) zum Bartgeier. Der LBV auf der Landesgartenschau „Wald. Weite. Wunderbar“ lautete das Motto der bayerischen Landesgartenschau, die vom 25. Mai bis 3. Oktober in Freyung stattgefunden hat. Vor Ort war auch der LBV mit einer Ausstellung zum Thema „Vogelfreundlicher Garten“. Besonders die vielen Mitmach-Angebote brachten die Besucherinnen und Besucher mit den LBV-Aktiven vor Ort ins Gespräch. So gab es beispielsweise eine täglich neu formulierte Frage des Tages oder ein Gewinnspiel. Darüber hinaus waren jahreszeitlich passende Bastelaktionen geboten – im Mai wurden Saatscheiben gebastelt, im Juni Ohrwurmhotels, im Juli Vogeltränken und im September Futterspender. Möglich war das vielfältige Angebot dank des Engagements der Kreisgruppe Freyung-Grafenau und der organisatorischen Unterstützung von deren Vorsitzendem Wolfgang Reichenberger. K U R ZME L DUNG E N Start für gemeinsames Rebhuhnprojekt Vor fünf Jahren haben sich die Ökologische Bildungsstätte Oberfranken, der LBV und die Wildland-Stiftung Bayern zusammengeschlossen, um den stark rückläufigen Rebhuhnbestand in Oberfranken zu stärken. Zum Jahresende 2022 wurde das Projekt abgeschlossen. Während der Laufzeit konnten die Mitwirkenden den Bestand deutlich erhöhen, beispielsweise durch die Anlage spezieller Blühflächen. Anknüpfen an den Erfolg soll nun das Projekt „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern“, das in Oberfranken im Bundesprogramm Biologische Vielfalt sowie vom Bayerischen Naturschutzfonds gefördert wird. In dessen Rahmen sollen die Artenvielfalt und der Rebhuhnbestand auch überregional gestärkt werden. Eine Auftaktveranstaltung fand im Juli statt. Die Region Oberfranken ist eines von zehn deutschlandweit ausgewählten Projektgebieten. LBV MAGAZIN 4|23 9

10 LBV MAGAZIN 4|23 T H EMA DR. NORBERT SCHÄFFER LBV-VORSITZENDER Unsere Natur und der Versuch, diese mit Gleichgesinnten zu schützen, sind für mich eine immerwährende Quelle von Begeisterung und Lebensglück. Viele von Ihnen denken sich jetzt vielleicht: „Der LBV-Vorsitzende muss das sagen.“ Aber versuchen Sie es selbst, schauen Sie sich die aktuelle Ausgabe unseres LBV magazins an und vielleicht geht es Ihnen wie mir: Sie haben danach richtig Lust, sich mit unserer faszinierenden Natur zu beschäftigen, vielleicht haben Sie sogar Interesse, sich beim LBV aktiv zu betätigen. Unser Verband bietet Ihnen diese Möglichkeit! Landtagswahl und Koalitionsvertrag Bayern hat einen neuen Landtag und eine neue Regierung. Der Landtagswahlkampf 2023 ist Geschichte. Leider haben die Themen Natur- und Artenschutz während dieser Phase kaum Aufmerksamkeit gefunden. Für die kommenden Jahre ist der Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern, auch für die Kernthemen des LBV, von herausragender Bedeutung. Während wir uns beispielsweise über das Bekenntnis zum Bayerischen Streuobstpakt freuen, sind wir über Punkte wie die Ablehnung nutzungsfreier Flächen im Wald und im Offenland oder den geringen Stellenwert der Biolandwirtschaft enttäuscht. Wir erwarten, dass sich auch die neue Staatsregierung an die im Rahmen des Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ festgelegten Ziele hält. Anlässlich des fünfjährigen Jubiläums des überaus erfolgreichen Volksbegehrens, das im Februar 2019 von über 1,75 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Bayern unterzeichnet wurde, werden wir im kommenden Jahr Bilanz ziehen. Wir werden überprüfen, ob der Wille der Bevölkerung nach wie vor ernst genommen und die notwendigen Maßnahmen umgesetzt werden. Das haben wir allen Unterstützerinnen und Unterstützern damals versprochen und daran werden wir uns halten. Beweidung von Grünland oder Streuwiesenmahd? Viele unserer LBV-Kreisgruppen pflegen mit einem großen ehrenamtlichen Einsatz unsere letzten verbliebenen Streuwiesen. Der Erfolg wird beispielsweise durch Orchideen und Trollblumen überaus deutlich. Alternativ werden manche LBV-Schutzgebiete extensiv beweidet, eine Nutzungsform, für die sich der Tierfilmer Jan Haft unter dem Slogan „Wilde Weiden“ mit großer Begeisterung einsetzt. In seinem Beitrag in dieser Ausgabe des Magazins beschreibt er seine Vision. Derartige Diskussionen sind für einen Fachverband wie den LBV immens wichtig und ich freue mich darüber. Dogma der Freiwilligkeit Ebenfalls in dieser Ausgabe beschäftigt sich der Theologe Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, mit den Grenzen der Freiwilligkeit. Freiwilligkeit, oftmals als „der bayerische Weg“ bezeichnet, ist ein wunderbares, auch von mir geschätztes Prinzip. Wenn diese Freiwilligkeit aber direkt in die Klima- oder Biodiversitätskrise führt und wir zukünftigen Generationen nicht nur die Möglichkeit nehmen, Schmetterlinge und Feldlerchen zu genießen, sondern ein Leben, wie wir es kennen, auf diesem Planeten unmöglich machen, sind die Grenzen der Freiwilligkeit überschritten. Hier sind Verantwortung, Weitsicht und Mut, insbesondere auch von politisch Verantwortlichen, gefragt. Biologische Vielfalt als „Herausforderung“ Ein Dauerbrenner im Natur- und Artenschutz sind sogenannte Konfliktarten. Um es gleich zu sagen: Der LBV erkennt durchaus, dass Arten wie Kormoran, Graureiher, Fischotter oder Wolf beispielsweise Teichbesitzern oder Weidetierhaltern große Probleme machen können. Diese S T A ND P UN K T miteinander reden Wenn Freiwilligkeit in die Krise führt, sind ihre Grenzen überschritten Lasst uns

LBV MAGAZIN 4|23 11 Arten gehören zu unserer Natur und selbstverständlich räumen wir ihnen eine Daseinsberechtigung ein. Präventionsmaßnahmen wie beispielsweise Zäune können von jeweils Betroffenen erwartet werden, wobei die Gesellschaft aber durchaus einen Beitrag zur Umsetzung (Finanzierung) solcher Maßnahmen tragen sollte. Dort, wo der Grundschutz überwunden oder Präventionsmaßnahmen nicht zumutbar sind und es zu Verlusten kommt, müssen diese kompensiert werden. Bei Gefahr der Wiederholung können Problemtiere in letzter Konsequenz auch entnommen werden. Dazu stehen wir, das halten wir aus. Der LBV plädiert hier für einen sachlichen und konstruktiven Dialog. Auch wenn dies zäh ist: Wir kommen nur weiter, wenn sich alle Akteure, beispielsweise beim Fischotter, im Rahmen von Arbeitsgruppen an einen Tisch setzen. Der LBV ist hier gesprächsbereit. Miteinander um Lösungen ringen Von jeher gehören zumWesen des LBV die Bereitschaft und der Wille, mit anderen Akteuren nach Lösungen zu suchen. Dies gilt beispielsweise für Verbände wie den Bayerischen Jagdverband, den Landesfischereiverband oder den Bayerischen Bauernverband. In diesem Zusammenhang hat es mich ausgesprochen gefreut, Anfang November als Festredner zur traditionellen Hubertusfeier des Jagdschutz- und Jägervereins Ingolstadt eingeladen worden zu sein. Ich habe den Abend wirklich genossen, dabei kann ich mir vorstellen, dass es durchaus ein wenig Mut erfordert, einen Nicht-Jäger als Redner einzuladen. Mein Anspruch ist immer: „Lasst uns miteinander reden.“ Ich hoffe, dass ich diesem Anspruch auch an diesem Abend gerecht geworden bin. Unsere Vögel in Afrika Auch wenn sich einige Tage im Oktober eher wie SpätsomDr. Norbert Schäffer mertage angefühlt haben, sind die Langstreckenzieher unter unseren Zugvögeln bereits seit geraumer Zeit in ihren oftmals südlich der Sahara gelegenen Winterquartieren. Was Mauersegler, Kuckuck oder Weißstorch dort passiert, wird auch einen Einfluss auf die Brutbestände im kommenden Jahr haben. Wir alle kennen selbstverständlich das Phänomen Vogelzug. Dennoch finde ich es immer wieder faszinierend sich zu vergegenwärtigen, dass sich „unsere“ Vögel vielleicht gerade in diesem Moment zwischen Elefanten aufhalten. Einige Zugvögel kommen aber auch im Winter zu uns. Vielleicht erleben wir diesen Winter einen Einflug von Seidenschwänzen, Bergfinken oder Erlenzeisigen. Ich freue mich darauf! Ein Jahr, welches gleich durch mehrere Krisen geprägt wurde, geht langsam zu Ende. Ich wünsche Ihnen eine friedvolle Vorweihnachtszeit und schon jetzt alles Gute für das kommende Jahr. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen mir immer wieder: „Natur macht glücklich!“ Probieren Sie es aus! Rotkehlchen, Kohlmeisen oder Feldsperlinge an einer Futtersäule können tatsächlich ein wenig Farbe in unser Leben bringen – und uns ein Stück glücklicher machen. Das wünsche ich Ihnen von Herzen! BERGFINKEN I FOTO: STEFAN MASUR Es gehört zum Wesen des LBV, mit anderen nach Lösungen zu suchen Folgen Sie mir auf X unter @N_Schaeffer

P O L I T I K FOTO: ANTONY WEERUT - CONORCROWE - STOCK.ADOBE.COM Warum Klimagerechtigkeit feste Regeln braucht Die Grenzen der Freiwilligkeit Ein Sommer, der viele das Fürchten gelehrt hat, liegt hinter uns. Die Nachrichten über nie dagewesene Wetterextreme haben sich förmlich überschlagen. Die größten Waldbrände seit Menschengedenken in Kanada, schlimme Waldbrände auch in Griechenland, auf Hawaii, Rhodos und den Kanarischen Inseln. Und zugleich ungeheure Überschwemmungen mit vielen Toten in Libyen, Italien, Griechenland und Slowenien. Hitzeperioden in vielen Teilen Europas, die kaum noch einen Aufenthalt im Freien zuließen. Kaum jemand bezweifelt mehr, dass all das Folgen der menschengemachten weltweiten Klimaerwärmung sind. Noch schneller als ohnehin befürchtet tritt jetzt ein, was die Klimaforschung seit Langem prognostiziert hat. UN-Generalsekretär António Guterres – aus guten Gründen inzwischen oft zitiert – sagte auf der Weltklimakonferenz COP 27 vergangenes Jahr in Ägypten: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“ Und in dieser Situation wird noch immer darüber diskutiert, ob Verhaltensänderungen in unserem Lebensstil, die notwendig sind, um die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern, in Zukunft staatlich verordnet werden oder auf Jeden Tag werden die Folgen des menschengemachten Klimawandels spürbarer. Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm findet: Um die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern, braucht es mehr staatliche Verordnungen. 12 LBV MAGAZIN 4|23

PROF. DR. HEINRICH BEDFORD-STROHM Bis Ende Oktober Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Freiwilligkeit beruhen sollten. Dass es immer der beste Weg ist, wenn Menschen nicht zur Befolgung des Rechts gezwungen werden müssen, sondern aus freier Einsicht so handeln, dass die legitimen Interessen der anderen gewahrt werden, liegt auf der Hand. Ebenso selbstverständlich würden wir aber alle sagen, dass, wenn Menschen sich nicht freiwillig an das Recht halten, der Staat dieses Recht durchsetzen muss, damit nicht das Recht des Stärkeren gilt. Ich kenne niemanden, der einen Fundamentalprotest dagegen erheben würde, dass der Staat die Verkehrsregeln durchsetzt. Denn wir wissen, dass die Verletzung der Verkehrsregeln andere schädigen, sie im schlimmsten Fall sogar das Leben kosten kann. Es ist der überwältigende Konsens der Wissenschaft, dass die Fortsetzung der ökologischen Zerstörung, die von unserem gegenwärtigen Wirtschaftsmodell ausgeht, nicht nur Menschen schädigt, sondern Menschenleben kostet – schon jetzt. Und in der Zukunft noch viel mehr. Wer jetzt noch immer allein auf Freiwilligkeit setzt, handelt verantwortungslos. Denn er versäumt, die legitimen Interessen von Menschen in anderen Teilen der Erde und zukünftiger Generationen zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat den legitimen Interessen zukünftiger Generationen inzwischen sogar verfassungsrechtliche Verbindlichkeit gegeben. Und trotzdem wird das Dogma der Freiwilligkeit weithin aufrechterhalten. Natürlich ist jede Verringerung des CO2-Ausstoßes durch einen entsprechenden persönlichen Lebensstil willkommen und wichtig. Indessen gilt gerade im Hinblick auf die vielen Dilemma-Abwägungen, die dabei miteinzubeziehen sind: Wirklich wirksam ist nur eine verpflichtende Begrenzung des CO2-Ausstoßes. Es würde keinen Sinn machen, wenn etwa die Kirche auf alle Flüge verzichten würde, die zur Pflege der vielfältigen weltweiten Kirchenpartnerschaften nötig sind, während die Business Community ohne Einschränkung weiterflöge. Die Globalisierung der Wirtschaft würde wachsen, die durch den Austausch in Kirchenpartnerschaften geförderte Globalisierung der Humanität würde geschwächt, der CO2-Ausstoß aber nur marginal gesenkt. Notwendige Einschränkungen haben nur dann eine Chance auf breite Akzeptanz zu stoßen, wenn sie für alle gelten und damit in der Lage sind, das Ziel weltweiter Klimagerechtigkeit wirklich zu fördern. Wir werden uns für unser jetziges Verhalten verantworten müssen – das steht fest. Ob wir dabei das Urteil kommender Generationen vor Augen haben oder den Richterstuhl Gottes, hängt von unseren religiösen Überzeugungen ab. Mich persönlich beschäftigt beides. Werde ich mit meinem Handeln meiner Verantwortung gegenüber Gott und gegenüber den kommenden Generationen gerecht? Mit dem Dogma der Freiwilligkeit werde ich mich jedenfalls nicht herausreden können. Die Einschränkungen müssen für alle gelten LBV MAGAZIN 4|23 13

T H EMA Management und Recht statt Polemik Tiere als politisch Spielball 14 LBV MAGAZIN 4|23

FOTOS: FRANK DERER, REIN - STOCK.ADOBE.COM her Wenn Menschen bestimmte Tierarten ablehnen oder bekämpfen wollen, dann selten aus Angst um die eigene Unversehrtheit. Meist befürchten sie vielmehr wirtschaftliche Verluste oder sehen in den Tieren eine Konkurrenz um selbst beanspruchte natürliche Ressourcen, wie zum Beispiel Wild oder Fische. Regelmäßig angepasste und praxiserprobte Management-Pläne sowie der offene Austausch zwischen allen Beteiligten könnten solche Konflikte lösen helfen. Und auch die Politik muss sachlich bleiben. Noch vor wenigen Jahren wurden Anträge auf Abschuss von Greifvögeln gestellt und bewilligt, weil sie angeblich die Bestände von Hasen und Rebhühnern schädigten. Solche Genehmigungen werden mittlerweile zum Glück nicht mehr beantragt, aber leider gibt es immer noch Zeitgenossen, die mit Giftködern und Flinte vermeintlichen Nahrungskonkurrenten nachstellen. Diese Fälle dokumentieren wir im Rahmen unseres Projekts Tatort Natur. Die größten Konflikte um das Management von Arten haben in den letzten Jahrzehnten diejenigen ausgelöst, die sich überwiegend von Fischen ernähren. In den 1980er Jahren wurde erbittert um eine Verordnung zum Graureiher gekämpft, die sogar gerichtlich überprüft wurde. Mittlerweile werden in Bayern – übrigens als einzigem Bundesland – jährlich ca. 6.000 Graureiher in einem Zeitraum von Mitte September bis Ende Oktober legal geschossen. Einer vom LBV im Auftrag des Landesamts für Umwelt (LfU) in den Jahren 2020/21 koordinierten landesweiten Erhebung zufolge, beläuft sich der aktuelle Graureiherbestand in Bayern auf 1.990 Brutpaare in 164 Brutkolonien. Gegenüber der letzten Erhebung 2008 sind die Bestände um 2,5 Prozent zurückgegangen, gegenüber der ersten 1995 sogar um ca. ein Viertel. Dies müsste eigentlich Änderungen im Management zur Folge haben, um den Erhaltungszustand der Art nicht weiter zu verschlechtern. Darüber hinaus wäre Bayern durch die europäische Vogelschutzrichtlinie auch dazu verpflichtet. In Bayern werden jedes Jahr mehr als 2.000 Biber legal entnommen. LBV MAGAZIN 4|23 15

T H EMA FOTOS: HERBERT HENDERKES, RALPH STURM Der Konflikt um den Graureiher wurde seit Anfang der 1990er Jahre durch den um den Kormoran ersetzt, der eine unerwartete Bestandserholung und Erweiterung seines Verbreitungsgebiets erlebte. Mittlerweile ist er in ganz Europa verbreitet und weist einen günstigen Erhaltungszustand auf. Seit 2001 werden pro Jahr regulär jeweils von August bis März zwischen 6.000 und 8.000 Kormorane in Bayern abgeschossen. Durch die vom LBV koordinierten Schlafplatzzählungen wissen wir, dass dies allerdings keinen Einfluss auf die jährlichen Zahlen der durchschnittlich bei uns anwesenden Kormorane hat. Freiwerdende Plätze werden durch Zuzügler rasch wieder besetzt. Vielfach wird dabei seitens der Fischerei immer noch auf den Massenabschuss gesetzt. Die Umsetzung durchdachter strategischer Ansätze hat gezeigt, dass durch gute regionale und zeitliche Koordination mit weniger Abschüssen nachhaltigere Erfolge, z.B. in Bezug auf die Fischverluste in Teichwirtschaften, erzielt werden können. Die Jagd alleine löst die Probleme nicht Gerade in Teichgebieten muss auch noch ein anderer Aspekt berücksichtigt werden: Viele dieser Flächen haben sich zu wichtigen Schutzgebieten entwickelt, die auch störungssensible Tierarten beherbergen. Durch das Management des Kormorans dürfen keine Kollateralschäden an diesen Arten entstehen. Deshalb dürfen Maßnahmen, die im Sinne des Schutzgebiets als Eingriffe zu bewerten wären, erst nach fundierter naturschutzfachlicher Bewertung und mit ökologischen Begleituntersuchungen durchgeführt werden. So etwas ist vorbildlich im mittelfränkischen Aischgrund gelungen. Trotz der zeitlich und räumlich strikt festgelegten Vergrämung von nicht brütenden jungen Kormoranen während der Brutzeit, haben sich die Bestände der Zielarten des Schutzgebiets nicht verschlechtert. Die Verluste der Karpfenteichwirte sind signifikant zurückgegangen – eine echte Win-Win-Lösung. Insbesondere beim Management des Kormorans wie auch bei Gänsen hat sich erwiesen: Die Jagd alleine kann die Probleme nicht lösen und muss deshalb bei einigen Arten vor allem in lenkender und weniger in reduzierender Funktion erfolgen. Wenn die Tiere überall mit Vergrämungsabschüssen rechnen müssen, werden sie wesentlich scheuer, verteilen sich stärker in der Fläche und verursachen möglicherweise dadurch größere Schäden als zuvor. Sie lernen sehr schnell, wo ihnen Gefahr droht. Somit erscheint es nur sinnvoll, regional festzulegen, wo zur Verringerung oder Verhinderung von Schäden gezielt vergrämt und wo die Präsenz der Tiere geduldet wird. Hier zeigt sich auch, dass das Management viel mehr ist als das reine, oftmals mit „Entnahme“ umschriebene Töten von Tieren. Es umfasst das Monitoring, das Flächenmanagement, die Beratung, die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen, gegebenenfalls die Entschädigung und in letzter Konsequenz auch die Entnahme von Tieren. Erst einmal sollte geklärt werden, warum ein Problem entsteht. Wo und wann gibt es Schäden oder Konflikte? Wie wurden Gezielte strategische Ansätze führen in der Teichwirtschaft zu weniger Verlusten durch den Kormoran. Auch bei Graugänsen erfüllt die jagdliche Lenkung zu Duldungsflächen eine wichtige Funktion beim Management der Bestände. 16 LBV MAGAZIN 4|23

FOTO: CHRISTOPH BOSCH diese erhoben? Auf dieser Basis können dann sachgerechte Lösungen erarbeitet werden. Leider wird vielfach viel zu schnell aus einem Bauchgefühl heraus gefordert und entschieden, anstatt sich auf Basis von methodisch sauber erfassten Fakten mit nachhaltigen Lösungen zu befassen. Als ein Schlüssel zum Erfolg eines zielgerichteten Artenmanagements hat sich eine fachkundige Betreuung der betroffenen Arten erwiesen. Diese kann durch speziell eingesetzte Personen oder durch spezifisch geschulte, regional tätige Behörden- und Verbandsvertretende erfolgen. Es hat sich auf Landes- oder Regionalebene sehr bewährt, Arbeitsgruppen mit allen Betroffenen zu bilden, die sich unter fachkundiger, neutraler Moderation umfassend und sachlich mit einem Thema auseinandersetzen können. Diese Arbeitsgruppen gibt es seit vielen Jahren zum Beispiel für Kormoran, Biber und die großen Beutegreifer Bär, Wolf und Luchs. Sie bieten die Chance, der vermeintlichen Gegenseite Sachverhalte zu verdeutlichen und Forderungen zu begründen. Hier können Managementpläne erarbeitet und nach Bedarf auch weiterentwickelt werden. Leider verlieren einige solcher Arbeitsgruppen ihre Dynamik und Kontinuität durch eine zu geringe Taktung der Treffen. So wäre es dringend erforderlich, nach mehr als zehn Jahren den Managementplan für den Fischotter den neuen Entwicklungen anzupassen. Gemeinsam mit Bund Naturschutz und Landesfischereiverband hat der LBV der Staatsregierung daher dringend empfohlen, hier aktiv zu werden. Das Management von Arten, die auch Konflikte mit Nutzergruppen verursachen können, hat eine starke emotionale Komponente. So wird dabei oftmals auch ein Stadt-Land-Konflikt sichtbar. Während die Städter Arten wir Fischotter und Wolf gegenüber sehr positiv gesinnt sind, begegnet die Landbevölkerung diesen Arten oft mit Skepsis oder Ablehnung und verweigert der Stadtbevölkerung wegen unterstellter Unwissenheit das Mitspracherecht. Manche Wolfsgegner scheuen auch nicht vor der Verbreitung nachweislich falscher Behauptungen zurück wie die, dass Wölfe von Menschen wiederangesiedelt worden wären und alle Gegenargumente gelogen wären. Und schließlich gibt es Personen, die mehr oder weniger offen drohen, bei unterlassener Hilfe selber durchzugreifen. Entsprechende Berichte über Fälle von illegalen Tötungen von Wolf, Luchs oder Fischotter kursieren immer wieder hinter vorgehaltener Hand. Statt sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, werden aktuell leider Bescheide zur angeblich leichteren Entnahme von Wolf und Fischotter erlassen, die der LBV fachlich nicht nachvollziehen kann, und die bislang alle von Gerichten kassiert wurden. Es scheint denjenigen, die die Entnahme dieser Arten Der Managementplan für den Fischotter müsste nach über zehn Jahren dringend den Entwicklungen angepasst werden. Oftmals wird ein Stadt-Land- Konflikt sichtbar LBV MAGAZIN 4|23 17

18 LBV MAGAZIN 4|23 T H EMA FOTO: CHRISTOPH BOSCH fordern, völlig gleichgültig zu sein, dass Wolf und Fischotter einem strengen europäischen Schutzregime der FFH-Richtlinie unterliegen. Es spielt offenbar keine Rolle, dass es eine durch europäisches Recht begründete Verpflichtung zur Prüfung von Alternativen gibt oder dass gerade in den bayerischen Alpen 40 Prozent der Fläche unter europäischem (FFH- und Vogelschutzrichtlinie) bzw. nationalem (Nationalpark, NSG) Schutz stehen. Auch die Forderung nach faktisch(?) wolfsfreien Gebieten ist rechtlich nicht haltbar, wird aber immer wieder erhoben. Es gibt sogar politische Initiativen aus Bayern, den Schutzstatus des Wolfs in ganz Europa zu senken. Eine differenzierte Betrachtungsweise wird zudem durch Äußerungen von hochrangigen Politikern wie die von Ministerpräsident Markus Söder auf einer Almbegehung – „Der Wolf gehört hier nicht her!“ – deutlich erschwert. Dabei erkennt auch der LBV an, dass es Gebiete im Alpenraum gibt, in denen klassische Herdenschutzmaßnahmen nicht praktikabel sind. Hier müssen andere Lösungen gefunden werden. Neue, rechtlich fragwürdige Verordungen Es ist fatal, dass gerade der Wolf in den Wahlkampf zur Landtagswahl gezogen wurde. Während hier kräftig Stimmung gemacht wurde, fehlt es an anderer Stelle an Beratung. So wurden Wolfsrisse an Schafen beklagt, die jedoch innerhalb ausgewiesener Förderzonen für den Herdenschutz lebten, dort aber nicht einmal mit dem erforderlichen Grundschutz vor dem Wolf gesichert wurden. In Bayern gibt es einen vom LBV unterstützten, sehr differenzierten Aktionsplan Wolf, der abgestufte Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen des Wolfes vorsieht, bis hin zur Entnahme in letzter Konsequenz. Bei jedem auch vermeintlichen Wolfsriss wird fast reflexartig eine Verschärfung des Managements gefordert, anstatt dem Aktionsplan die Chance zu geben, sich zu bewähren. Im Rahmen eines funktionierenden Managements hätten die Tierhalter in der betroffenen Region nämlich proaktiv von den zuständigen Behörden informiert und beraten werden müssen. Allerdings gibt es auch eine Holschuld der Tierhalter, denn mittlerweile sollte jeder wissen, dass es eine Förderung von Herdenschutzmaßnahmen gibt und man sich im Bedarfsfall an sein Landwirtschaftsamt wenden kann, um dort die notwendigen Anträge zu stellen sowie Beratung und Fördermittel zu erhalten. Die Bayerische Staatsregierung hat trotz bisheriger Urteile bayerischer Verwaltungsgerichte rechtlich fragwürdige Verordnungen zur Entnahme von Fischotter und Wolf erlassen. Unter dem Beifall der einschlägigen Interessensverbände veröffentlicht man nicht haltbare Verordnungen und Allgemeinverfügungen. Werden diese vom Gericht kassiert, schieben die politischen Entscheidungsträger den Schwarzen Peter an die klagenden Verbände weiter. Das führt in der Sache zwar nicht weiter, bedient aber zumindest einen Teil der Wählerschaft. Es bleibt zu hoffen, dass nach der Landtagswahl und der Regierungsbildung wieder die Bereitschaft zu einem sachlichen und zielführenden Dialog zu diesem zuletzt überwiegend emotional diskutierten Thema möglich sein wird. DR. ANDREAS VON LINDEINER Landesfachbeauftragter Naturschutz, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: andreas.von.lindeiner@lbv.de Der Aktionsplan Wolf hat in Bayern den Umgang mit den Rückkehrern klar geregelt.

Sie sind noch auf der Suche nach einem sinnvollen Weihnachtsgeschenk? Dann verschenken Sie doch einfach eine LBV-Mitgliedschaft mit dieser Geschenkkarte: Sie bereiten Freude und schützen Bayerns Natur! Verschenken Sie eine LBV-Mitgliedschaft Verschenken Sie Naturschutz in Bayern! Einfach öffnen, ausfüllen und verschenken. FOTO: ROSL RÖSSNER Geschenkkarte schon weg? Nachbestellen unter mitgliederservice@lbv.de und Sinnvolles zu Weihnachten verschenken. LBV MAGAZIN 4|23 19 SO EINFACH GEHT’S: Geschenkkarte herauslösen. Formular abtrennen, ausfüllen und an uns absenden. Karte individuell beschriften und verschenken, z. B. jetzt zu Weihnachten. Freude bereiten und dabei Bayerns Natur schützen. 1 2 3 4

T H EMA Persönliche Höhepunkte aus dem Jahr 2023 Fasziniert von Arten Unsere Biologinnen und Biologen arbeiten das ganze Jahr über in vielen unterschiedlichen Projekten, um bedrohte Arten in Bayern erfolgreich zu schützen. Von der Kartierung über die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft bis hin zum Bartgeiererlebnis – wir haben einige nach ihren schönsten Momenten gefragt. Mitmach-Projekt Kleinspecht „Das dritte und somit letzte Jahr im Citizen-ScienceProjekt Kleinspecht neigt sich in Bayern dem Ende zu. In den Monaten Februar bis Mai liefen 159 Freiwillige in Bayern an drei Terminen 166 Routen ab und suchten dabei Kleinspechte und deren Bruthöhlen. Die Routen legten die Ehrenamtlichen nach einer Schulung vorher selbst fest, die Zählung fand in jedem der Projektjahre statt. Am häufigsten entdeckten die Aktiven Kleinspechthöhlen in bayerischen Auwäldern, wohingegen Freiwillige in Hessen diese vor allem in Laubwäldern und Streuobstwiesen vorfanden.“ ISABEL RHODE Gemeinsam die Rauchschwalbe schützen „2023 startete der LBV in Zusammenarbeit mit Naturland ein Schutzprojekt für Rauchschwalben. Bereits zum Projektstart meldeten sich 105 Naturland-Betriebe freiwillig an und zeigten großes Interesse daran, den stark gefährdeten Vogel zu unterstützen. Die Projektverantwortlichen legten auf den einzelnen Höfen der Landwirte und Landwirtinnen Lehmpfützen an und hingen jeweils über 100 Nisthilfen auf. Eine erste Auswertung zeigt, dass die Rauchschwalben bereits auf 33 Betrieben insgesamt 305 Nester besetzt haben.“ RIEKE WÜPPING 20 LBV MAGAZIN 4|23

FOTOS: FRANK DERER, HANS-JOACHIM FÜNFSTÜCK, DR. CHRISTOPH MONING, FOTOFALLE, MARKUS GLÄSSEL Recka besucht Sisi und Nepomuk „Mitte August konnte Bartgeier Recka (Mitte) für einige Wochen wieder an ihrem Auswilderungsplatz bestaunt werden. Mit ihr kehrte das erste Mal einer unserer ausgewilderten Vögel kurzzeitig in die Halsgrube zurück und stattete den beiden diesjährigen Jungvögeln Sisi (rechts) und Nepomuk (links) einen Besuch ab. Die drei verhielten sich in der Zeit stets harmonisch, auch an den Futterplätzen. Recka führte Sisi sogar zu einer Futterstelle, die diese zuvor noch nicht entdeckt hatte. Sisi und Nepomuk ließen es sich auch nicht nehmen, ihre ältere Artgenossin beim Fliegen zu necken. Recka nahm es den beiden jedoch nicht übel.“ DAVID SCHUHWERK LBV MAGAZIN 4|23 21 Uhu-Synchronverhör „In diesem Jahr lag die Anzahl besetzter Uhu-Reviere in der Fränkischen Schweiz auf einem rekordverdächtig hohen Niveau. An 81 Stellen zwischen Main und Pegnitz konnten LBV-Aktive die großen Eulen feststellen. Auch im Rahmen eines Synchronverhörs zählten haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende des Artenhilfsprogramms Felsbrüter den Vogel, indem sie sich an möglichst vielen bekannten Uhu-Brutplätzen positionierten und zeitgleich den Balzrufen der Eulen lauschten. Der Bruterfolg war in diesem Jahr wieder deutlich überdurchschnittlich. Nachdem im vergangenen Jahr kaum Nachwuchs ausflog, verließen in diesem Jahr mindestens 47 Junguhus den elterlichen Horst.“ TORBEN LANGER Kiebitz-Rettung in Bayern „Anfang 2023 startete der LBV ein bayernweites Kiebitz-Schutzprojekt. In Zusammenarbeit mit Landwirten und Landwirtinnen erfassen und markieren die Projektmitarbeitenden Nester auf Ackerflächen, um zu verhindern, dass diese bei der Feldbearbeitung versehentlich zerstört werden. Darüber hinaus begann im Knoblauchsland bei Nürnberg ein weiteres Kiebitz-Projekt. Das Besondere dabei ist, dass Aktive nicht nur die Nester markieren, sondern zusätzlich die Jungvögel mit farbigen Ringen ausstatten. Die Verantwortlichen kennzeichneten in diesem Jahr bereits 100 Kiebitze und können diese nun im nächsten Jahr identifizieren, wenn die Vögel aus ihren Winterquartieren zurückkehren.“ MARIE-THERESE KRIEGER

T H EMA Langflügelige Schwertschrecke: Das Weibchen legt mit seinem Legebohrer Eier in die Halme von Sauergräsern. Das bei uns seltene Weiße Fingerkraut ist in Rumänien auf trockenen, extensiven Pferde- und Rinderweiden häufig (links). Gleiches gilt für das Wanzen-Knabenkraut (rechts). Wasserbüffel fressen Schilf und Schwaden, meiden aber giftige „Weideunkräuter“ wie die Sibirische Schwertlilie. 22 LBV MAGAZIN 4|23 Diskussionsbeitrag von Jan Haft: Beweidung für mehr Artenvielfalt Wilde Weiden

LBV MAGAZIN 4|23 23 FOTOS: JAN HAFT (7) In der Brust von Naturschützerinnen und Naturschützern schlagen zwei Herzen. Einerseits soll sich die Natur ohne menschlichen Einfluss frei entfalten können. Andererseits besteht die praktische Arbeit zum großen Teil darin, etwa durch Entbuschen, Abgraben, Anpflanzen und vor allem Mähen in die Natur einzugreifen. Wie lassen sich diese beiden Haltungen miteinander vereinbaren, wo sie sich doch scheinbar widersprechen? Ein Diskussionsbeitrag. Nehmen wir die Mähwiese, eine ebenso künstliche wie erdgeschichtlich junge Erscheinung. Ein Habitat, das per definitionem frei von Strukturreichtum wie Fels oder Totholz ist und bei dem der größte Teil der Vegetation ein oder mehrmals im Jahr abgeschnitten und fortgeschafft wird. Nach jeder Mahd ist das Nektar- und Pollenangebot schlagartig verschwunden und die Sonne brennt auf den Boden. Von nun an wird es im Dschungel der Halme immer schattiger und kühler – bis zur nächsten Mahd. Kein Wunder, dass in diesem Lebensraum nur ein kleiner Teil jener Arten lebt, die ansonsten auf derselben Fläche vorkommen könnten. So werden etwa durch das Mähen, ganz gleich ob mit der Sense oder mit dem Kreiselmähwerk, alle Insektenarten ausgemerzt, die den Winter im Inneren alter Halme von Gräsern und Kräutern überdauern. Unter ihnen stets auch Rote-Liste-Arten. So kommt es, dass auf den wertvollsten Magerrasen des Landes, die zum Schutz der Natur gemäht werden, maximal 25 Zikadenarten vorkommen. Auf Flachland-Extensivweiden dagegen, einem in Deutschland fast verschwundenen Lebensraum, vermehren sich laut Studien des Zikadenforschers Herbert Nickel bis zu 250 Arten – also zehn Mal so viele. Bei anderen Organismengruppen ist der Befund ähnlich. Man könnte also vermuten, dass auf einer regelmäßig gemähten Fläche nur eine eingeschränkte Vielfalt an Pflanzen und vor allem Tieren gedeiht, verglichen mit dem Habitat, das zuvor an derselben Stelle war. Aber: Was war zuvor? Die Antwort wird meistens „Wald“ lauten – ein Lebensraum, in dem die allermeisten heimischen Pflanzen- und Tierarten nicht existieren würden, schon gar nicht jene Wiesenbewohner. Die Annahme, Mitteleuropa sei Waldland, kommt nicht von ungefähr, sondern beruht vielmehr auf einer korrekten Beobachtung: Wird ein Gebiet von Nutzung freigestellt, entwickelt sich dort in der Regel ein Wald. Folgerichtig setzen wir ursprüngliche Natur mit Wald gleich. Gleichzeitig stellt man fest, dass sich in der extensiven Kulturlandschaft, die allerdings weitgehend verloren gegangen ist, besonders viele Arten wohlfühlen und die Biodiversität viel größer ist als im ungenutzten, sich selbst überlassenen Wald. Dazu kursierten einst allerhand abwegige Erklärungen, etwa dass sich die Arten des Offenlandes in den letzten Jahrtausenden an die kleinbäuerliche Kulturlandschaft angepasst hätten oder gar darin entstanden seien. Auch die Erzählung, dass die Offenlandarten von irgendwoher mit dem Menschen eingewandert seien, nachdem dieser mit der Landwirtschaft den Wald geöffnet hatte, lässt sich heute mittels genetischer Unterschiede widerlegen. Große Pflanzenfresser gab es einst überall Dass umgekehrt innerhalb des Waldes die Artenvielfalt ansteigt, wenn sich Lücken bilden, Licht und Wärme ins Waldesinnere dringen, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Bleiben regelmäßige und möglichst auch großflächige Störungen aus, wird der Wald immer eintöniger. Vorausgesetzt es handelt sich nicht um einen beispielsweise besonders trockenen oder nassen Standort, entwickelt sich hierzulande am Ende ein vergleichsweise artenarmer Buchenwald. In der Forstwissenschaft gibt es sogar einen eigenen Terminus dafür: Fagetum nudum (Fagus = Gattung der Buche), der nackte Buchenwald. Hat die Buche nämlich einmal die Oberhand im Wald, haben es andere Gehölze schwer. Die meisten Baumarten haben keine Chance mehr im Dämmerlicht zu keimen und aufzuwachsen. So kam es zu der Behauptung, Deutschland wäre von Natur aus überwiegend von Buchenwäldern bedeckt gewesen. Das hätte allerdings zur Folge gehabt, dass ein Großteil der heimischen Pflanzen-, Pilz- und Tierarten bei uns nicht oder nur in kleinen, inselartigen Arealen hätte existieren können. Wo also waren Robuste Pferderassen wie das Exmoor-Pony eignen sich gut, um zusammen mit Rindern Naturschutzgebiete ganzjährig zu beweiden. Braunkehlchen ziehen auf großen Extensivweiden erfolgreich ihre Jungen groß. Auf Weiden mit Vieh, das keine prophylaktischen Wurmkuren erhält, wimmelt es von Dungbewohnern wie dem Frühlingsmistkäfer.

T H EMA und auch in den weiter zurückliegenden milden Klimaperioden gab es eine Menge großer Pflanzenfresser bei uns, die in der Zusammensetzung der Arten stark an afrikanische Nationalparks heute erinnern. 16 „Megaherbivoren“ (große Pflanzenfresser) mit teils mehreren Tonnen Lebendgewicht existierten nebeneinander – hierzulande. Mitteleuropa begann zuzuwuchern Der Wechsel zwischen den Faunen der Warm- und Kaltzeit muss jedes Mal eine Zeit gewaltiger Umwälzungen gewesen sein. Die kälteliebenden Großtiere zogen nach Norden und aus ihren Refugien im Osten, Westen und jenseits der Alpen kehrten die Warmzeittiere zurück. So auch am Ende der letzten Kaltphase, umgangssprachlich Eiszeit genannt. Allerdings blieben diesmal die großen Tiere ziemlich auf der Strecke. Zeitgleich mit den großen Pflanzenfressern breitete sich nämlich der Mensch nördlich der Alpen aus und allem Anschein nach war kein Platz für die keimende ZiviEin Feldgrillenmännchen singt vor seiner Wohnröhre im durchsonnten Weiderasen. Kiebitze gehören zum Artenspektrum im feuchten Extensiv-Weideland. Wasserbüffel auf einer Ganzjahresweide im Winter. Jetzt nehmen die Tiere verstärkt weniger schmackhafte Kräuter und Stauden sowie Gehölze auf. 24 LBV MAGAZIN 4|23 Neuntöter, Zauneidechse, Schwalbenschwanz und zehntausende anderen Arten, bevor der Mensch die Landschaft zwischen der See und den Alpen prägte? Die erdgeschichtliche Epoche, in der wir uns aktuell befinden, ist geprägt von einem Wechsel aus Kalt- und Warmphasen. Seit zweieinhalbMillionen Jahren geht das schon so: Es ist für ein paar Tausend Jahre warm, dann wieder für ein paar Zehntausend Jahre kalt. Die letzte Warmzeit vor jener, in der wir heute leben, heißt Eem. Sie begann vor 126.000 Jahren und dauerte elftausend Jahre lang, dann begannen die Gletscher wieder zu wachsen. Es gab im Eem bereits Menschen in Deutschland, aber diese waren vergleichsweise primitive Jäger, die ihre Umwelt wohl nur in geringem Ausmaß veränderten. Aus der Eem-Warmzeit finden wir jede Menge Überreste von Arten, die wir aus heutiger Zeit kennen, darunter viele Offenlandarten wie Käfer und Reptilien. Doch es gibt einen grundsätzlichen Unterschied: Im Eem, wie in der Warmphase davor, der Holstein-Warmzeit,

LBV MAGAZIN 4|23 25 FOTOS: JAN HAFT (3) lisation und die urzeitliche Großtierfauna. Ob die großen Pflanzenfresser nur vertrieben, gleich aufgegessen oder bereits während der Kaltzeit in ihren Refugien dezimiert wurden, ist unbekannt und nicht weiter von Belang. Fakt ist, dass der „Ökoingenieur Pflanzenfresser“ auf einmal nicht mehr in dem Maße da war, wie es die Natur über Jahrmillionen vorgesehen hatte. Zwar hat es der Auerochse bis ins Mittelalter geschafft, aber seine Anzahl dürfte schon Jahrtausende vorher zu gering gewesen sein, um in der Natur eine bedeutende Rolle zu spielen. Von Nashorn, Altelefant, Europäischem Wasserbüffel, Steppenbison und den anderen Kolossen ganz zu schweigen. Mitteleuropa begann langsam zuzuwuchern. Rettung für die Artenvielfalt war der Mensch, indem er Pferd und Wildrind zähmte und in immer größeren Stückzahlen draußen weiden ließ. Wo sonst? Beweidung kommt der Wildnis am nächsten In der Kaiserzeit um 1900 lebten in Deutschland – damals gab es freilich etwas mehr Fläche – etwa 25 Millionen Hausrinder und Pferde, also doppelt so viele wie heute. Die Flur jenseits der Dörfer war ihre Weide. Ein Drittel unseres Landes wurde beweidet und sah entfernt aus wie die Serengeti, halboffen, voll blühender Stachelgebüsche, kurzgefressener Weiderasen, knorriger Einzelbäume, Totholz, Wäldchen, Suhlen und Triftwegen. Alte Landschaftsgemälde geben darüber Auskunft. Das war das Habitat-Mosaik, in dem all unsere etwa 70.000 höheren Organismen ihre Nische fanden, egal ob wir sie heute als „Waldarten“ oder als „Offenlandarten“ bezeichnen. Ein unvorstellbar strukturreicher Lebensraum, noch heute zu bestaunen auf mancher Alm in den Bergen oder im rumänischen Transsilvanien, wo es nach wie vor große Almendweiden gibt, auf denen Schwarzstirnwürger, Steinschmätzer und Wiedehopf keine Besonderheiten sind. Kurz: Eine extensive Weide bietet einem Maximum an Arten einen Lebensraum. Natürlich wird es auch im Eem und davor dichten Wald gegeben haben, das belegt die Existenz von spezialisierten Waldarten. Betrachtet man aber die Lebensraumansprüche des Großteils unserer Fauna und Flora und sogar der Pilze muss Bayern, muss Deutschland, ja muss Europa zum überwiegenden Teil offen oder zumindest halboffen gewesen sein. Einst weideten hier wilde Großtiere und später – immerhin über mehrere Jahrtausende – ihre zahmen NachBeweidung im LBV In 50 LBV-Schutzgebieten und damit auf zehn Prozent unserer bayernweiten Flächen findet eine Beweidung statt. Diese Weideflächen sind meist kleiner als zehn Hektar, in wenigen Fällen erreichen sie bis 80 Hektar. Beweidet wird mit robusten Rinderrassen, Wasserbüffeln, Schafen und Ziegen bis hin zu Pferden. Je nach Fläche kann das Ziel der Beweidung die Steigerung der Strukturvielfalt, die Reduktion von Gehölz, der Erhalt von Lebensraum oder auch eine Veränderung des Lebensraums sein. Diese sogenannte extensive Beweidung wird im LBV immer häufiger eingesetzt, da sie die Artenvielfalt steigert, gut für die regionale Wertschöpfung ist und sich sogar für eine attraktive Öffentlichkeitsarbeit eignet. In den meisten Fällen kooperieren wir hierbei mit lokal ansässigen Landwirten. Auf kleinen oder vereinzelt liegenden LBVFlächen mit vom Aussterben bedrohten Arten sollte für deren Erhalt eine schonende Mahd gewählt werden. Ebenso auf Flächen, die regelmäßig vollständig überschwemmt werden und gleichzeitig keine Ausweichmöglichkeit für Weidetiere bieten. DR. NADJA DANNER, FLÄCHENMANAGERIN, REFERAT LANDSCHAFTSPFLEGE fahren. Nur eines gab es in der Geschichte des Landes bis in die jüngste Zeit nie: die einförmige Mähwiese. Natürlich sind wir alle glücklich, wenn ein Landwirt oder eine Landwirtin heute, meist mit Unterstützung aus dem Vertragsnaturschutz, eine ein- bis zweischürige Heuwiese bewirtschaftet. Sie ist voller bunter Blumen, beherbergt einen ganzen Schwung unterschiedlich singender Heuschrecken, vielleicht sogar den einen oder anderen bodenbrütenden Vogel und vieles mehr. Wenn wir aber auf Naturschutzflächen über die Form der Bewirtschaftung entscheiden dürfen, sollten wir uns immer für die Beweidung entscheiden. Sie entspricht einer Art der Biotopflege, die der ursprünglichen Wildnis am nächsten kommt, die den meisten Arten in dem jeweiligen Gebiet zugutekommt, aktiven Klimaschutz mit sich bringt, ebenso wie ein gefälliges Landschaftsbild und ein Maximum an Tierwohl. Die Beweidung möglichst vieler Gebiete ist unsere Chance, den allgemeinen Artenrückgang zu stoppen. Die wilde Weide, vom Menschen initiiert und betreut, aber weitgehend sich selbst überlassen, bringt die beiden Herzen in der Brust von Naturschützerinnen und Naturschützern zusammen – der scheinbare Widerspruch zwischen Eingreifen und Nichteingreifen in unsere Natur löst sich in Wohlgefallen auf. Diskutieren Sie mit unserem Autor! Durch den Beitrag des Naturfilmers, Buchautors (siehe S. 48) und LBV-Medienpreisträgers Jan Haft möchten wir eine fachlich wichtige Diskussion über das Thema Beweidung anstoßen. Wir laden Sie deshalb zu einem exklusiven LBV-Online-Vortrag von Jan Haft am 30. November um 19 Uhr mit anschließendem Gespräch ein. Den Link finden Sie an diesem Tag auf unserer Webseite: lbv.de JAN HAFT Naturfilmer und Buchautor

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