VOGELSCHUTZ 4-22

LBV MAGAZIN 4|22 1 Naturschutz als Geschenk Machen Sie Ihren Liebsten eine Freude Erfolgsgeschichte der Geier So lief das zweite Auswilderungsjahr Energiesparen im Garten Hilfreiche Tipps, die auch dem Klima guttun Arten- und Klimaschutz Spannungsfeld VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN magazin 4|2022

2 LBV MAGAZIN 4|22 Filmperlen präsentiert einen Film der if… Productions in Koproduktion mit SWR/BR gefördert vom FFF Bayern, DFFF, BKM, FFA mit Norbert Schä er, Arnulf Conradi Buch & Regie: Jörg Adolph Montage: Anja Pohl Kamera: Daniel Schönauer Vogelaufnahmen: Rita und Michael Schlamberger, Hans-Martin Ringelstein, Ralph Sturm, Rudolf Diesel uva. Tongestaltung: Jörg Elsner, Max Bauer, Normann Büttner Tonmischung: Michael Hinreiner Sprecherin: Bärbel Wossagk Musik: Acid Pauli Gra k und Visuelle E ekte: Matthias Rothe Postproduktion & Colorist: Fabian Spang Herstellungsleitung: Luzie Lohmeyer Redaktion: Simone Reuter (SWR), Gabriele Trost (SWR), Petra Felber (BR) Produzent: Ingo Fliess www.vogelperspektiven-der lm.de „Das Erlebnis, den Vogel in seiner Schönheit und Lebendigkeit wahrzunehmen, ist wie eine Senkrechte in der Zeit. In dem Moment gibt es nichts anderes, du bist ganz im Hier und Jetzt.“ - Arnulf Conradi Der neue Film des Regisseurs von „DAS GEHEIME LEBEN DER BÄUME“

LBV MAGAZIN 4|22 3 vielleicht haben Sie es bereits bemerkt: Unsere Mitgliederzeitschrift trägt einen neuen Namen. Ab sofort erhalten Sie viermal im Jahr das LBV magazin. Fast genau 45 Jahre nachdem der heutige LBV-Ehrenvorsitzende Ludwig Sothmann und unser scheidendes Redaktionsmitglied Dieter Kaus den Vogelschutz aus der Taufe gehoben haben (siehe auch S. 43), ist es nun an der Zeit für eine Weiterentwicklung. Diese geht einher mit unserem neuen Verbandsnamen, den die LBV-Delegierten auf ihrer jährlichen Versammlung im Oktober beschlossen haben. So steht LBV ab sofort für Landesbund für Vogel- und Naturschutz. Daraus leitet sich auch direkt der neue Untertitel des LBV magazins ab. Da sich die Themen in unserem Mitgliedermagazin schon lange um viel mehr als „nur“ Vogelschutz drehten, fühlt es sich für uns auch absolut richtig an, unseren Titel den Inhalten anzupassen – und dem, was wir tun. Bei Dieter Kaus möchte ich mich hier ganz persönlich bedanken: Du hast den Grundstein für das gelegt, was unser Magazin heute ist. Mit deinem Engagement in den knapp 200 Redaktionssitzungen hast du gerade bei den Themen Vogelschutz und Garten mit einem schier unendlichen Wissen stets die Fachlichkeit sichergestellt. Noch eine Anmerkung in eigener Sache. Kurz vor Druckschluss waren wir von einem Serverabsturz betroffen, nach dem nicht klar war, ob diese Ausgabe überhaupt wird erscheinen können. Doch dank der herausragenden Fähigkeiten unseres Grafikers Albert Kraus können Sie nun doch wie gewohnt das neue LBV magazin genießen. Liebe Leserinnen und Leser, Ein neuer Name Viel Spaß beim Lesen! Ihr Markus Erlwein Chefredakteur Naturschutz funktioniert nur gemeinsam. Das Herzstück sind dabei unsere Mitglieder. Unser wichtigstes Gut – eine intakte Natur – darf auch in den Zeiten von Energiekrise, Inflation und Ukraine-Konflikt nicht in den Hintergrund rücken. Bitte unterstützen Sie uns auch weiterhin. Wenn Sie Ihren Beitrag reduzieren möchten, wenden Sie sich einfach an den LBV-Mitgliederservice. Gemeinsam Tagesaktuelle Nachrichten finden Sie unter E D I T O R I A L FOTO: MICHAEL OSTERMEYER lbv.de/newsletter lbv_bayern lbv.de VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN LBV magazin

4 LBV MAGAZIN 4|22 ID-Nr. 22127266 Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. www.blauer-engel.de/uz195 · ressourcenschonend und · umweltfreundlich hergestellt · emissionsarm gedruckt XW1 überwiegend aus Altpapier Sie lesen klimaneutral und umweltfreundlich 6 Im Fokus Stunde der Wintervögel 8 Leserbriefe 9 Kurzmeldungen 10 Standpunkt Dr. Norbert Schäffer 12 Für eine naturverträgliche Energiewende So lassen sich in Bayern Klimaschutz und Naturschutz miteinander verknüpfen 22 Biodiversität unserer Gewässer in höchster Gefahr! Sinnlose Förderung kleiner Wasserkraftwerke und Privatisierung in Bayern 24 Mehr Geier für Bayern So lief das zweite Auswilderungsjahr 26 Spendenaktion Ein Geschenk für die Natur Einhefter • Spenden-Überweisungsträger • Mitgliederwerbekarte 38 Wichtiges Wissen zum Streuobstpakt. Fair verpachten zum Schutz der Artenvielfalt. TITELBILD: ROTMILAN | CHRISTOPH BOSCH FOTOS: MARCUS BOSCH, ZDENEK TUNKA, FRANZISKA WENGER, CAROLA BRIA, THOMAS STAAB, SWAROVSKI OPTIK I NH A L T INHALT 12 Hilfreiche Tipps zum Klimaschutz im Garten. 36 So kann in Bayern eine naturverträgliche Energiewende gelingen. 40

LBV MAGAZIN 4|22 5 46 Klimaschutz in Bildungsprogrammen. 28 LBV AKTIV 34 NAJU Neues von der Naturschutzjugend 36 Klimaschutz im Garten Energiesparen und Artenvielfalt 38 Geballtes Wissen zu Streuobstwiesen Tipps zur Förderung, Anlage und Pflege 39 Spuren hinterlassen Ihr Erbe für Bayerns Natur 40 Artenvielfalt durch Fairpachten Schonende Nutzung von Äckern, Wiesen und Weiden 42 Aus dem LBV • Naturvielfalt auf Ausgleichsflächen • Die LBV-Geschichte für die Nachwelt bewahren • 45 Jahre Mitgliedermagazin Vogelschutz 44 Stiftung Leben für Bayerns Natur 45 Technik Fernglas und Extender für die Hemdtasche 46 Umweltbildung Mehr Bildung für den Klimaschutz 48 Medien Buchempfehlungen 49 Kleinanzeigen 50 Impressum und Kontakte - ANZEIGE - 45 Kompaktfernglas im Praxistest. 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de VOGELFUTTER VOM PROFI Der neue Naturshop-Katalog ist da

6 LBV MAGAZIN 4|22 Vom 6. bis 8. Januar 2023 dreht sich bei der 18. Stunde der Wintervögel wieder alles um die gefiederten Gäste an Deiner Futterstelle. Eine Stunde lang gilt es dann, die Vögel vor dem Fenster zu zählen. In diesem Jahr solltest Du besonders genau hinschauen, da nach derzeitigen Beobachtungen die Möglichkeit eines Einflugs von Seidenschwänzen aus Nordeuropa besteht. SEIDENSCHWANZ | FOTO: STOCK.ADOBE.COM

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8 LBV MAGAZIN 4|22 L E S E R B R I E F E Ihre Meinung ist uns wichtig! Schreiben Sie uns unter leserbriefe@lbv.de oder per Post an Redaktion VOGELSCHUTZ, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein. Die Redaktion behält sich aus Platzgründen eine Auswahl und das Kürzen von Leserzuschriften vor. Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. i Post Zum Interview mit Prof. Bairlein „Schon die Anwesenheit von Katzen …“ (2/22) erreichten uns mehrere Zuschriften Gute Erfahrung mit Glöckchen Auch mich treibt das Thema „Katzen im Garten“ immer wieder um. Nachdem wir unsere Katze, eine Freigängerin, bekommen hatten, musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass sie zeitweise täglich einen Vogel erjagte. Da ich dies nicht ertragen konnte, bekam sie ein Halsband mit Glöckchen. Ergebnis: Mäuse konnte sie immer noch fangen, aber keine Vögel mehr. Anfangs hatte ich noch ein schlechtes Gewissen, hieß es doch, dies wäre Tierquälerei. Meine Katze ist inzwischen 15 Jahre alt, bei guter Gesundheit und wirkt auch nicht gestresst. Wie ich beobachtet habe, klingelt das Glöckchen nämlich nicht ständig, sondern nur, wenn sie sich schnell bewegt. Für mich ist das momentan die beste Lösung, denn einer Katze, die es gewöhnt ist, sich draußen zu bewegen, den Freigang zu streichen, ist eine Nervenzerreißprobe. Fremden Katzen kann ich natürlich kein Glöckchen umhängen. Aber die kann man mit der Gießkanne und Fauchen vertreiben. Hanna Greßmann, 95183 Feilitzsch Der vogelfreundliche Garten macht’s Katzen töten, das ist klar. Katzen quälen im Spiel – auch. Pauschale Aussagen sind dennoch wenig hilfreich. Wir hatten auf unserem Grundstück bis zu acht Katzen, auch eine Profikillerin, die alles, auch ausgewachsene Ratten erlegen konnte. Nur Vögel hat sie in ihrer Lebenszeit kaum Katzendichte im Neubaugebiet Vor einigen Jahren hatte ich noch jede Menge Vögel imGarten, die auch gebrütet haben. Seit drei Jahren hat sich das extrem verändert. Dieses Jahr haben die Hausrotschwänzchen ein Nest gebaut, auch ein Kohlmeisenpaar war kurz da, dann waren außer Spatzen, Staren und Amseln keine Vögel mehr da. Obwohl ich jede Menge Nistkästen im Garten habe. Die Amseln haben im Nussbaum gebrütet, es waren vier Junge. An einem Abend lag ein Junges unter dem Baum, d. h. es war zerfleddert, die Flügel daneben, der Körper fast weg. Es ist bei mir ein Neubaugebiet, da ist fast in jedem Haus eine oder sogar mehrere Katzen. Die Besitzer habe ich persönlich angesprochen, dass sie die Katzen während der Brutzeit im Haus lassen, aber leider hat niemand ein Einsehen. Zwei Katzen, die immer wieder in meinem Garten auf Vögel lauern, verjage ich immer wieder, aber ohne Erfolg. Ich finde, es sollte wirklich Pflicht sein, die Katzen vor allem in der Brutzeit im Haus zu lassen. Theresia Gradl, 83224 Grassau FOTOS: CHRISTOPH BOSCH, MARCUS BOSCH, TOBIAS TSCHAPKA, STEFAN DEINZER, THOMAS KEMPF, DR. ANDREAS VON LINDEINER Falsches Braunkehlchen In der letzten Ausgabe ist uns ein Fehler unterlaufen. Ein im Text über das Braunkehlchen abgebildeter Vogel ist ein Schwarzkehlchen. Hier beide Weibchen zum Vergleich. Braunkehlchen -Weibchen Schwarzkehlchen -Weibchen Zum Artikel „Getreide auf den Teller“ (3/22) Verstand der Verbraucher zubetoniert Danke für das tolle Heft mit den interessanten und auch treffenden Artikeln! Vor allem der Artikel von Matthias Luy beschäftigt mich. Da frage ich mich: Haben der Bauernverband samt diverser Politiker nichts, aber auch gar nichts kapiert? Auch hier wird schändlicherweise der UkraineKrieg vorgeschoben, Lobbyarbeit auf dem Rücken der Natur, der Ukrainer und vom Hunger bedrohter Länder und Menschen betrieben! Anstatt vernünftiger Aufklärung über Dinge wie „Teller statt Trog“ oder „Teller statt Tank“ und „Teller statt Tonne“ wird der Verstand der Verbraucher in alter Manier „zubetoniert“. Auch in der nahen Zukunft werden also weiter Pestizide auf dem Acker und dicke Fleischbatzen auf dem Grill landen. Prost Mahlzeit! Bali Tollak, 86986 Schwabbruck erwischt, obwohl selbst Zwei-Meter-Sprünge in die Büsche kein Problem für sie waren. Da kommen wir auf den Kern: Unser Grundstück ist sehr vogelfreundlich. Büsche, Bäume, Bodenbewuchs, geringe Bereiche, bei denen eine Katze unbemerkt zuschlagen kann. Christian Esterbauer, 89407 Dillingen

Gezwitscher Historische Änderung des Verbandsnamens Die Delegiertenversammlung des LBV hat auf ihrem jährlichen Treffen eine historische Namensänderung des ältesten bayerischen Naturschutzverbands beschlossen. Vor 83 Jahren wurde der 1909 gegründete Verein in „Landesbund für Vogelschutz“ umbenannt, nun steht die Abkürzung LBV für „Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern“. Mit dieser Namensergänzung soll ein seit Jahrzehnten wichtiger Bestandteil der täglichen LBV-Arbeit im Verbandsnamen nicht länger ausgeschlossen bleiben. Der Vogelschutz wird für immer eine wichtige Kernaufgabe des LBV bleiben, doch unser Einsatz erstreckt sich über alle Bereiche des Naturschutzes. Die neue Langversion des Namens umfasst nun endlich unsere Faszination für Vögel und Natur und zeigt auf einen Blick, wer der LBV ist und was er tut. Endlich wieder Führungen zu LBV-Projekten Spenderführungen haben im LBV eine jahrzehntelange Tradition. Pandemiebedingt konnten sie zuletzt leider nur sehr eingeschränkt stattfinden. Doch dieses Jahr war es endlich wieder möglich, insgesamt 140 Spenderinnen und Spender am Altmühlsee, im Rainer Wald, im Murnauer Moos sowie beim Bartgeier in Ramsau bei Berchtesgaden begrüßen zu dürfen. Zu Letzterem hatten wir dieses Mal zu zwei Abendessen mit unseren großzügigsten Unterstützerinnen und Unterstützern eingeladen. Sowohl bei den Abendterminen wie auch während der gemeinsamen Exkursion hinauf zum Beobachtungspunkt blieb genug Zeit für individuelle Gespräche mit dem LBV-Vorsitzenden Dr. Norbert Schäffer, dem Vorsitzenden der LBV-Stiftung Dr. Rüdiger Dietel sowie dem Bartgeierteam. Eine Veranstaltung, die wir sicherlich im kommenden Jahr wiederholen werden. Und noch ein Geschenktipp zu Weihnachten: Wir suchen für einen unserer jungen Bartgeier im nächsten Jahr wieder einen Namenspaten. Falls Sie Interesse haben, melden Sie sich bitte bei Thomas Kempf unter thomas.kempf@lbv.de. K U R ZME L DUNG E N Braunkelchen ist Vogel des Jahres 2023 Das Braunkehlchen löst den Wiedehopf ab. Bei der dritten öffentlichen Wahl zum Vogel des Jahres erreichte das Braunkehlchen mit rund 43 Prozent der Stimmen den ersten Platz. Auf dem Siegertreppchen folgten der Feldsperling mit 18 und der Neuntöter mit rund 16 Prozent. Platz vier und fünf der Wahl belegen der Trauerschnäpper (15 Prozent) und das Teichhuhn mit sechs Prozent. Deutschlandweit haben in diesem Jahr 134.819 Vogelbegeisterte ihre Stimme abgegeben. In Bayern war die Wahlbeteiligung mit über 19.500 Stimmen erneut sehr hoch. Das Braunkehlchen ist eine europaweit stark gefährdete Vogelart und braucht dringend die mit der Auszeichnung verbundene Aufmerksamkeit. Schmetterlingshaft 4. Bayerische Biodiversitätstage am 21. und 22. April 2023 Im kommenden Jahr wird die LBV-Tagung „Bayerische Biodiversitätstage“ in München in der Zoologischen Staatssammlung und im Botanischen Institut (ZSM) stattfinden. Das Thema: „Bayerns Seltenste“. Lassen Sie sich überraschen, welche in Bayern seltene Tier- und Pflanzenarten wir Ihnen zusammen mit der Zoologischen Staatssammlung vorstellen werden. Programm und Anmeldedetails werden Ende des Jahres bekanntgegeben. Bitte merken Sie sich schon einmal Freitag, 21. April, ab 14:30 Uhr und Samstag, 22. April 2023, ab 9 Uhr vor. Rückfragen an Dr. Andreas von Lindeiner unter biodiversitaetstage@lbv.de. LBV MAGAZIN 4|22 9

10 LBV MAGAZIN 4|22 T H EMA DR. NORBERT SCHÄFFER LBV-VORSITZENDER Der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin losgetretene Angriffskrieg auf die Ukraine dauert nun schon unerträgliche neun Monate – und ein Ende ist nicht in Sicht. Das damit verbundene Leid und die Zerstörung in der Ukraine entsetzen uns alle. Wirtschaftlich hat der Krieg unmittelbare Auswirkungen auch auf unser Leben, beispielsweise durch sprunghaft steigende Energiepreise und eine extrem hohe Inflationsrate. Unsere Abhängigkeit von russischem Gas und das Ziel, diese Abhängigkeit so schnell wie möglich zu beenden, bedingt unsere derzeit schwierige Lage. Zugegeben, die allermeisten von uns haben einmal geglaubt oder zumindest gehofft, dass man Präsident Putin trauen kann und dass er sich an internationale Regeln hält. Heute stehen wir vor der bitteren Erkenntnis, dass dies nicht der Fall ist. Zur Wahrheit gehört aber auch: Hätten wir, wie von vielen Natur- und Umweltschutzverbänden – auch dem LBV – gefordert, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten größeren Wert auf Energiesparen und gleichzeitig auf den Ausbau der erneuerbaren Energien gelegt, wir müssten heute keinen Blackout fürchten oder bei autokratischen Herrschern um Gas betteln. Der Ausbau von regenerativen Energien ist in den vergangenen Monaten in den Fokus der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit gerückt. Im Hinblick auf den Klimawandel eine notwendige Entwicklung. Neben der Klimakrise bedroht uns aber auch das Artensterben, der Verlust unserer Biologischen Vielfalt. Jetzt heißt es mehr als jemals zuvor, diese Zwillingskrise gemeinsam zu lösen und nicht etwa unsere Biologische Vielfalt für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu opfern. Für den LBV wird für viele Jahre ein Arbeitsschwerpunkt sein, dafür zu sorgen, dass beim Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Wasserkraft der Schutz unserer Tiere und Pflanzen und ihrer Lebensräume berücksichtigt wird. Windkraftausbau und Artenschutz Windkraft ist auch in Bayern ein wichtiger Teil der regenerativen Energien. Oftmals wird der LBV fast reflexartig als Kronzeuge gegen den Ausbau der Windkraft genannt. Das entspricht nicht unserer Position. Ich habe bei den verschiedensten Gelegenheiten immer wieder auf unser Positionspapier Windkraft verwiesen und betont: Auch der LBV will den Ausbau der Windkraft. Aber selbstverständlich nicht auf Kosten von Vögeln und Fledermäusen. Wir haben bei einer Abschaffung der 10 H-Regel ausreichend Flächen, auf denen Windkraft unproblematisch für Mensch und Natur ausgebaut werden kann. Es ist überhaupt nicht erforderlich, in windkraftsensiblen Lebensräumen wie naturnahen, unzerschnittenen Wäldern oder Truppenübungsplätzen zu bauen. Neben der Standortwahl, die im Rahmen der Regionalplanung erfolgen muss, halten wir auch technische Vorkehrungen wie automatische Abschaltmechanismen für ausgesprochen vielversprechend. Die Gefahr, dass beispielsweise ein durchfliegender Seeadler von einem Windrad erschlagen wird, kann ganz leicht gebannt werden. Automatische Erkennung und kurzfristige Abschaltung einer Anlage haben sich in anderen Ländern als erfolgreich erwiesen. Dies sollte auch in einem Hochtechnologieland wie Bayern eine Selbstverständlichkeit sein. PV auf Dächer, nicht in Wiesenbrütergebiete Bayern ist bekannt für viele Sonnenscheinstunden. Nachvollziehbar, dass Photovoltaik-Anlagen (PV) eine wichtige Energiequelle sein können. Auch hier müssen wir ganz genau darauf achten, dass die Biologische Vielfalt nicht darunter leidet. Selbstverständlich wollen wir PV-Anlagen zuallererst im bebauten Gebiet, z.B. auf Hausdächern oder Parkplatzüberdachungen. Freiflächenanlagen, die unvermeidbar sind, können tatsächlich so gestaltet werden, dass sie – zumindest im Vergleich mit der intensiven Landwirtschaft – durchaus interessant sind für eine große Anzahl von Tier- und Pflanzenarten. Moore müssen nach Ansicht des LBV die allerletzte Option als Standorte für PV-Freiflächenanlagen sein, und dies auch nur, wenn der trockengelegte Torfkörper gleichzeitig wiedervernässt und vor weiterer Zersetzung bewahrt wird. Tabu ist dagegen die vom S T A ND P UN K T inklusive Artenschutz Mehr Erneuerbare

LBV MAGAZIN 4|22 11 Landesamt für Umwelt (LfU) festgelegte Wiesenbrüterkulisse. Es ist nun einmal Fakt, dass Brachvögel nicht unter PVPaneelen brüten. Hier lässt sich mit Brachvögeln auch nicht verhandeln. Wasserkraft – mehr geht nicht Plötzlich wird auch wieder über den Ausbau der kleinen und großen Wasserkraft nachgedacht. Fest steht, dass Wasserkraftanlagen unseren Gewässern massiv schaden. Groß angelegte Studien der TU München haben ergeben, dass auch neuartige Kraftwerksanlagen für unsere Fische keine Verbesserung, oftmals sogar eine Verschlechterung mit sich bringen. Das ökologische Potenzial der Wasserkraft in Bayern ist mehr als ausgeschöpft. Ein weiterer Ausbau, gerade auch der kleinen Wasserkraft, würde unverhältnismäßig große ökologische Schäden mit sich bringen. Hier sind wir uns mit den Freundinnen und Freunden vom Landesfischereiverband einig. Energiesparen und Kohlenstoff speichern Neben dem Ausbau der regenerativen Energien ist das gute alte Energiesparen ein Weg, um Klima- und Biodiversitätskrise zu bremsen. Es ist selbstverständlich richtig, wenn von Seiten der Politik auch das Thema Energiesparen angesprochen wird. Dabei verwundert es mich, wenn von anderer Seite versucht wird, konkrete Vorschläge gleich wieder lächerlich zu machen. Naturschutz in Krisenzeiten Manchmal könnte man meinen, der Arten-, Natur- und Klimaschutz kann warten, bis wir andere Krisen, wie die Energiekrise oder die hohe Inflation, gelöst haben. Eine Fehleinschätzung. Die Biodiversitäts- und Klimakrise schreiten weitgehend ungebremst voran. Darüber hinaus wissen wir aus zahlreichen Studien, dass eine intakte, reizvolle Natur für viele Menschen eine Quelle für Lebensqualität ist. Daher würde ich sagen: Der Schutz unserer Natur ist nicht trotz, sondern gerade wegen der anderen Krisen so wichtig wie Folgen Sie mir auf Twitter unter @N_Schaeffer Dr. Norbert Schäffer nie zuvor. Herzlichen Dank an alle ehren- und hauptamtlichen LBVlerinnen und LBVler, die sich tagtäglich für unsere Natur einsetzen! Naturschutzverband LBV Die Abkürzung LBV steht ab sofort für „Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern“. So haben es im Oktober 2022 die LBV-Delegierten beschlossen und einer immer wieder auftretenden Diskussion um unseren Verbandsnamen einen, wie ich meine, sehr befriedigenden Abschluss gesetzt. Die ausgeschriebene Form unseres Namens umfasst nun endlich unsere Faszination für Vögel und Natur und zeigt auf einen Blick, wer der LBV ist und was wir tun. Inhaltlich bleiben wir unseren Schwerpunkten treu. Einen Überblick zur Situation unserer Vögel im Siedlungsraum werden wir während der Stunde der Wintervögel vom 6. bis 8. Januar 2023 erhalten. Bitte nehmen Sie daran teil und laden Sie Ihre Familienmitglieder und Freundinnen und Freunde dazu ein. Denn wie ich immer gerne sage: Sehr viele Menschen können sich für unsere Vogelwelt begeistern – viele wissen es nur noch nicht. Ich wünsche Ihnen, Ihren Angehörigen und Freunden von Herzen, dass die Natur um Sie herum eine Quelle für Lebensfreude ist! SOLARFELD OBERNDORF I FOTO: REGIONALWERKE GMBH & CO. KG

T H EMA Die Notwendigkeit einer unabhängigen und nachhaltigen Energieversorgung in Deutschland hat mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs eine nie dagewesene Dringlichkeit bekommen. Ziel muss der schnelle Ausstieg aus den fossilen Energien und der Atomkraft und ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Energien Wind und Photovoltaik sein. Wie der LBV seit Jahren betont, müssen künftige Lösungen den Klima- sowie den Artenschutz gleichermaßen berücksichtigen, die beide Teil einer Zwillingskrise sind. FOTO: MARKUS GLÄSSEL 12 LBV MAGAZIN 4|22

So lassen sich in Bayern Klimaschutz und Naturschutz miteinander verknüpfen Für eine naturverträgliche Energiewende Der Klimawandel ist langfristig die größte Bedrohung für die Biodiversität auf diesem Planeten. Daher muss Naturschutz immer auch auf einen konsequenten Klimaschutz abzielen. Umgekehrt darf Klimaschutz nicht ohne einen natur- und artenschutzrechtlichen Rahmen umgesetzt werden. Das heißt, dass beispielsweise in Bayern zum einen die 10 H-Abstandsregelung verschwinden muss, um die erforderlichen Freiheiten bei der Suche nach geeigneten Flächen für den Ausbau der Windenergie voranzutreiben. Zum anderen gäbe es sinnvolle, landesweit koordinierte Planungen bei der Umsetzung, die sensible Gebiete wie artenreiche Wälder definitiv ausschließen. Gleiches gilt für Photovoltaik-Anlagen. Diese sollten auf Dächern und anderer Infrastruktur entstehen und nicht in sensiblen und hochwertigen Moorgebieten. Ist dennoch die Bebauung von Flächen für die Erzeugung erneuerbarer Energien geplant, so sollte bei der Auswahl der Technik berücksichtigt werden, dass Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) bei gleicher Fläche 20- bis 40-mal mehr Energie generieren als Anlagen zur Stromproduktion aus Energiemais. Die Energiewende erfordert einerseits unter dem absoluten Vorrang von Effizienzsteigerung und Einsparung besondere Anstrengungen nicht nur bei der Gewinnung von Energie, sondern auch in den Themenfeldern Verkehr, Wärmedämmung von Gebäuden, industrielle Produktion und Landwirtschaft. Andererseits dürfen der Schutz und die Inwertsetzung natürlicher CO2-Senken nicht fehlen. Die enormen Senken-Potenziale von Feuchtgebieten, Mooren, älteren Laub- und Mischwäldern sowie humosen Böden müssen viel stärker genutzt werden als bisher, vor allem durch eine Optimierung des Wasserhaushalts und eine angepasste Nutzung. Dies würde nicht nur dem Klimaschutz dienen, sondern auch die Bedeutung dieser Gebiete als Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten stärken. Naturschutz und Energiewende naturverträglich Hand in Hand zu gestalten, sind nach Auffassung des LBV absolut möglich. Es bedarf nur des politischen Willens und eines positiven Blicks auf Lösungen für unsere Zukunft. Derzeit scheinen die Pläne der Bundesregierung für den beschleunigten Ausbau der Windkraft allerdings das große Potenzial zu verspielen, die beide Krisen des Artensterbens und des Klimawandels gleichzeitig zu lösen. LBV MAGAZIN 4|22 13

FOTO: FLORIAN KUNDE - STOCK.ADOBE.COM Bei der regenerativen Energiegewinnung kommt der Windkraft eine zentrale Rolle zu. Um aber eine effiziente, nachhaltige und naturverträgliche Umsetzung der Windkraftausbauziele auf nationaler Ebene zu gewährleisten, sind politische Rahmenbedingungen nötig, die die Einhaltung des europäischen Gesetzrahmens, insbesondere der NATURA 2000-Vorgaben sicherstellen. Am 7. Juli diesen Jahres sind im Rahmen der Verabschiedung des sogenannten Osterpakets durch den Bundestag Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) beschlossen worden. Zu begrüßen ist, dass die Bundesländer zukünftig ca. zwei Prozent ihrer Landesfläche für die Windenergie bereitstellen müssen. Für den naturverträglichen Ausbau der Windenergie ist auch die Standardisierung der Genehmigungsverfahren grundsätzlich sinnvoll. Der Ausbau der Windkraft in Bayern braucht klare fachliche Leitplanken In der Zielbeschreibung der aktuellen Änderungen des BNatSchG heißt es: „Neben der Klimakrise ist die Biodiversitätskrise die zweite globale ökologische Krise“. Dieser Erkenntnis wird das neue Gesetz aus Sicht des Naturschutzes aber nicht gerecht. Die Gesetzesänderungen führen aus Sicht von LBV und NABU besonders wegen bestehender Rechtsunsicherheiten und fachlicher Schwächen zu keiner Beschleunigung des Ausbaus, sondern zu einer Schwächung des Naturschutzes. So sind als windkraftsensibel mindestens die im Helgoländer Papier der Staatlichen Vogelschutzwarten gelisteten Vogelarten anzusehen. Diese Liste wurde im BNatSchG nun auf 15 Arten reduziert, ohne Angabe einer fachlich belastbaren Begründung. In der Folge werden nun Arten wie Schwarzstorch, Wiesenbrüter und Raufußhühner bei der Planung von Windkraftanlagen (WKA) nicht mehr berücksichtigt. Für die 15 auf der Liste verbliebenen Arten wurden bestimmte Bereiche um den Horst als besonders geschützt festgelegt, die aber ebenfalls ohne Begründung deutlich geringer ausfallen als die fachlichen Empfehlungen des Helgoländer Papiers. Bei der Betrachtung der Windkraftsensibilität wurde offensichtlich nur das Kollisionsrisiko berücksichtigt. Lebensraumzerstörungen bzw. Störungen bei Bau und Betrieb oder die Verschlechterung der Habitateignung sind nicht in die Bewertung eingeflossen. Unter Juristen verbleiben daher erhebliche Zweifel, dass die neuen T H EMA Windkraftanlagen sollten konzentriert an artenschutzfachlich unkritischen Standorten errichtet werden. 14 LBV MAGAZIN 4|22

FOTO: CAGKAN - STOCK.ADOBE.COM Bestimmungen des BNatSchG das europaweit geltende individuelle Artenschutzrecht korrekt umsetzen. Der LBV lehnt eine Aufweichung des geltenden europäischen und nationalen Artenschutzrechts zugunsten eines schnelleren Ausbaus der Windenergie ebenso strikt ab wie eine Einschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten von Verbänden in den Genehmigungsverfahren. Änderungen des EU-Rechts hätten drastische und zum Teil schwer vorhersehbare negative Auswirkungen auf viele andere Aspekte des Artenschutzes. Stattdessen muss und kann eine Lösung des Konflikts zwischen Artenschutz und Windenergieausbau innerhalb des geltenden Artenschutzrechts gefunden werden. Der LBV fordert für Bayern die systematische Suche nach geeigneten WKA-Standorten. Dafür bedarf es einer überregionalen Betrachtung der Situation. Dabei ist nicht nur das Kollisionsrisiko für Vögel und Fledermäuse zu berücksichtigen, sondern auch der Verlust bzw. die Entwertung von Lebensräumen sowie Barrierewirkungen und andere Einflüsse. Dazu gehören mögliche sekundäre Effekte wie geänderte Prädationsverhältnisse durch die Wegeerschließung oder Flächenverluste für Gänse, Schwäne und Kraniche. Die Verluste einiger langlebiger Vogel- und Fledermausarten durch Kollisionen haben aus populationsbiologischer Sicht in einigen deutschen Regionen bereits ein kritisches Ausmaß erreicht, denn diese Arten weisen meist geringe Reproduktionsraten auf. Beim Ausbau der regenerativen Energien fordert der LBV deshalb, dass der Schutz der windkraftsensiblen Vogel- und Fledermausarten insgesamt eine herausragende Rolle spielen muss. Um mögliche zusätzliche Lebensrisiken der durch den Ausbau erneuerbarer Energien betroffenen Arten einschließlich deren Lebensstätten auszugleichen, sollen nun Nationale Artenhilfsprogramme (AHP) entwickelt werden. Betreiber von WKA sollen sich in bisher noch nicht festgelegter Höhe finanziell daran beteiligen. Mit den AHP sollen die Zielarten in einen günstigen Erhaltungszustand gebracht werden. Abschaltvorrichtungen Rotmilan und Seeadler sind weit verbreitet und kollidieren besonders oft mit Windkraftanlagen (WKA). Seit einiger Zeit werden Steuerungssysteme mit integrierter Bilderkennung entwickelt, die es ermöglichen, auf Windräder zufliegende Vogelarten automatisch zu identifizieren. Wird eine kollisionsgefährdete Art erkannt, kann die Anlage abgeschaltet und damit das Kollisionsrisiko für den Vogel vermindert werden. Derzeit funktioniert das allerdings nur bei Großvögeln. Die Abschaltvorrichtungen werden deshalb weiter unter verschiedenen Bedingungen erprobt und verbessert. Neben der Wahl des Standorts, der Umsetzung von Artenhilfsprogrammen und phänologischen Abschaltungen von WKA (d.h. zu bestimmten Jahres- und Tageszeiten, in denen z. B. Vögel balzen oder Jungvögel flügge werden), könnten also zukünftig auch solche Abschaltvorrichtungen einen wichtigen Beitrag leisten, um die Gefahren durch WKA für bestimmte Vogelarten signifikant zu verringern. Systematische Suche nach Windkraftstandorten LBV MAGAZIN 4|22 15

Die 15 im Bundesnaturschutzgesetz verbliebenen windkraftsensiblen Vogelarten Weißstorch Wanderfalke Rohrweihe Steinadler Seeadler Fischadler Wiesenweihe Rotmilan Baumfalke Sumpfohreule Schreiadler Kornweihe Schwarzmilan Wespenbussard Uhu FOTOS: GUNTHER ZIEGER (2), HERBERT HENDERKES (4), FRANK DERER, RALPH STURM, ZDENEK TUNKA (3), CHRISTOPH BOSCH (2), MARKUS GLÄSSEL, DR. CHRISTOPH MONING Umsetzung in Bayern – Schlüsselfunktion für die Regionalplanung Um negative Auswirkungen auf windenergiesensible Vogel- und Fledermausarten zu vermeiden, ist die regionalplanerische Festlegung von Windkraft-Konzentrationsgebieten von zentraler Bedeutung. Bei deren Abgrenzung sind die Belange des Arten- und Naturschutzes prioritär zu berücksichtigen. Alle außerhalb dieser Gebiete liegenden Flächen sind dann grundsätzlich von WKA freizuhalten. Aus Artenschutzsicht ist eine möglichst starke Konzentration von Windrädern an wenigen, konfliktarmen Standorten deutlich besser als eine große Streuung kleinerer Windparks oder gar Einzelanlagen. So kann im Übrigen auch der Landschaftsschutz angemessen berücksichtigt werden. Da sich die Vorkommen windkraftsensibler Vogel- und Fledermausarten teilweise sehr dynamisch verändern, müssen vorhandene oder geplante Vorrang- und Vorbehaltsgebiete zeitnah überprüft und die Ergebnisse konsequent berücksichtigt werden. In Regionen, für die es keine aktuellen Erkenntnisse (jünger als fünf Jahre) über Vorkommen dieser Arten gibt, muss der Staat eine Bestandserhebung vornehmen, um eine verlässliche Planungsgrundlage zu besitzen und nachfolgende Genehmigungsverfahren beschleunigt abwickeln zu können. Nur bereits vorhandene Daten zur Beurteilung der Standorteignung heranzuziehen, wie derzeit vorgesehen, wird angesichts der vielfach erheblichen Datenlücken der Verantwortung für die betroffenen Arten nicht gerecht. Gibt es mehrere WKA in einer Region, ergeben sich sogenannte Summationseffekte, d.h. das Tötungsrisiko für dort weit verbreitete Arten bzw. für Vögel auf dem Zug durch dieses Gebiet steigt. Diese Effekte werden bei einer Regelprüfung aber nicht berücksichtigt. Der LBV fordert deshalb, für die Vorranggebiete eine verpflichtende Prüfung der Summationseffekte einzuführen. Wie soll es aus Sicht des LBV nun weitergehen? Der LBV fordert ein landesweit einheitliches Vorgehen bei der Planung von Windkraftanlagen auf regionaler Ebene. Nach wie vor behindert in Bayern die in Deutschland einzigartige 10 H-Regelung die Suche nach geeigneten Standorten. Nur deshalb werden von der Bayerischen StaatsT H EMA 16 LBV MAGAZIN 4|22

Standorterträge in 180 Metern Höhe Diese Karte von Bayern zeigt die errechneten Erträge einer fiktiven Windkraftanlage (WKA) mit einem Rotordurchmesser von 148 Metern und einer Nennleistung von 5 MW in 180 Metern Höhe über Grund. Dem Modell liegen bestimmte Windparameter wie Intensität von Turbulenzen, Schräganströmung und Windscherung mit genau definierten Wertbereichen zugrunde. In der Realität werden diese Werte jedoch an vielen Standorten überschritten. Besonders im Wald oder wenn WKA dicht aneinander stehen, treten verstärkt Turbulenzen auf. Von den hier angegebenen Standorterträgen sollten deshalb pauschal ca. sechs Prozent abgezogen werden. Der wirtschaftlich rentable Mindestertrag einer WKA liegt bei 6.500 MWh/Jahr. regierung immer wieder WKA-Standorte auf Truppenübungsplätzen (in Bayern sind 20 Standortübungsplätze als Natura-2000-Schutzgebiete ausgewiesen) oder in bislang weitgehend unzerschnittenen Wäldern sowie in Landschaftsschutzgebieten ins Spiel gebracht, die dafür in der Regel aus Sicht des LBV überhaupt nicht geeignet sind. Der LBV bietet an, seine Gebiets- und Artenkenntnisse vor Ort einzubringen, um auf regionaler Ebene ein naturschutzfachlich sinnvolles Gesamtkonzept zu erarbeiten. Mit der Abschaffung der 10 H-Regel und einer abgestimmten Regionalplanung kann der dringend notwendige, schnelle Windkraftausbau in Einklang mit dem Naturschutz gelingen. In gut geprüften Vorranggebieten kann auch aus Sicht des LBV dann ohne Einzelfallprüfung gebaut werden – das beschleunigt den Ausbau erheblich. Für die Abgrenzung von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten sind die regionalen Planungsverbände die entscheidenden Gremien. Der LBV schlägt vor, auf Basis von bundesweit modellierten Windkraft-Potenzialgebieten für die jeweiligen Planungsregionen konkrete Gebiete festzulegen. Hierbei sind auf regionaler Ebene vorhandene bzw. zu aktualisierende Kenntnisse vorkommender windkraftsensibler Tierarten zu berücksichtigen. Das Klimaschutzprogramm der Bayerischen Staatsregierung sieht den Bau von 800 WKA vor, doch fehlen dafür bislang die Voraussetzungen. So wurden bereits 2014 für 12 der 18 bayerischen Planungsregionen Vorrang- und Vorbehaltsgebiete ausgewiesen, deren Daten mittlerweile veraltet sind. Für sechs Regionen liegen noch keine Planungen vor. Nur für einen Bruchteil der Landesfläche gibt es aktuelle Daten über die windkraftsensiblen Vogel- und Fledermausarten. Andere Bundesländer haben schon längst landesweite Erfassungsprogramme umgesetzt. Die Bayerische Staatsregierung muss hier dringend nachziehen, um verlässliche Planungsgrundlagen zu schaffen. In Bayern fehlen aktuelle Daten QUELLE: ENERGIEATLAS BAYERN | WWW.KARTEN.ENERGIEATLAS.BAYERN.DE LBV MAGAZIN 4|22 17

FOTO: GEORG KNIPFER Der zweite wichtige Baustein der Umsetzung einer naturverträglichen Energiewende ist die Photovoltaik. Aus Sicht des LBV ist dabei das Potenzial von Photovoltaik-Anlagen an Gebäuden bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Der Ausbau sollte daher vorrangig in diesem Bereich erfolgen, um Konflikte mit dem Artenschutz zu vermeiden, aber auch um die Flächenkonkurrenz in der Agrarlandschaft nicht weiter zu verschärfen. Auf einem Schild an der LBV-Umweltstation Lindenhof in Bayreuth heißt es zu der im Jahr 1998 in Betrieb genommenen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Seminargebäudes: „Solarenergie ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende, weil sie klimaschonend ist und Brennstoffimporte (z. Bsp. Erdöl) ersetzt.“ Ferner betreibt der LBV seit vielen Jahren eigene PV-Anlagen an der Landesgeschäftsstelle in Hilpoltstein sowie an den Umweltstationen in Helmbrechts, Bayreuth, Regenstauf, Rothsee und Kleinostheim. Neben Gebäuden kommen versiegelte Flächen wie Parkplätze, Lärmschutzwände o. Ä. in Frage. Leider hat sich die Bayerische Staatsregierung entgegen den ursprünglichen Ankündigungen nicht zu einer PV-Pflicht für alle Neubauten durchringen können. Diese Pflicht gilt ab 2023 nur für gewerbliche Bauten, ab 2025 besteht für Wohngebäude lediglich die Empfehlung mit einer Reihe von Ausnahmen. Während in Bayern bei der Windkraft weitestgehend Flaute herrscht, boomt hier dennoch die Planung und der Bau insbesondere von Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PVFFA). Bayern ist bereits jetzt das Bundesland mit der höchsten Zahl an Solarparks. Im Jahr 2025 soll Photovoltaik einen Beitrag von bis zu 25 Prozent zur bayerischen Bruttostromerzeugung leisten. Der LBV steht dem Ausbau der PV-FFA positiv gegenüber, allerdings sind verschiedene Kriterien zu beachten. So muss statt des derzeit unkoordiniert erfolgenden Ausbaus auf kommunaler Ebene die Regionalplanung wie bei der Windkraft auch hier Vorranggebiete ausweisen. Dadurch ließen sich von vornherein aus Sicht des Naturschutzes ungeeignete Flächen ausschließen wie zum Beispiel Schutzgebiete, Natura 2000-Flächen, Wiesenbrütergebiete oder Truppenübungsplätze. Es gibt in Bayern ausreichend Flächen für Photovoltaik-Anlagen außerhalb dieser schützenswerten Bereiche. Es besteht keine Notwendigkeit, Schutzgebiete oder Wiesenbrüterflächen zu überbauen. Trotzdem werden aktuell großflächige Anlagen sogar in ausgewiesenen Schutzgebieten geplant. Und das, obwohl Photovoltaik – ein wichtiger Baustein im Energiemix der Erneuerbaren T H EMA 18 LBV MAGAZIN 4|22 Zuwanderung aus der näheren Umgebung von Solarparks kann die Pflanzendecke mit Arten der Magerrasen und Säume anreichern.

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FOTO: MARCUS HOFMANN - STOCK.ADOBE.COM die Staatsregierung im Dezember 2021 im einem ministeriellen Schreiben Schutzgebiete und Gebiete der staatlich festgelegten Wiesenbrüter- und Feldvogelkulisse als Standorte für PV-FFA ausdrücklich ausgeschlossen hat. Photovoltaik ist ein wichtiger Bestandteil im Energiemix regenerativer Energien. Ihre Flächeneffizienz ist wie oben erwähnt nicht nur wesentlich besser als bei Biogasmais. Sie belastet im Vergleich dazu auch den Boden und das Grundwasser weniger, da kein Kunstdünger und keine Pestizide ausgebracht werden, und bietet einen deutlich erhöhten Erosionsschutz. Wird die Fläche der PV-FFA extensiv bewirtschaftet, beispielsweise durch Schafbeweidung, so nützt das auch der Biodiversität. Wird für sie zum Beispiel ein Maisacker umgewandelt, ergibt sich ebenfalls ein Plus für den Artenschutz. Genau solche Lösungen benötigen wir, um beide Krisen zu bewältigen. PV-FFA auf Moorböden Besonders kontrovers wird derzeit der Bau von PV-FFA im Donaumoos diskutiert. Das Donaumoos ist mit einer Fläche von rund 170 Quadratkilometern das größte zusammenhängende Niedermoorgebiet in Bayern. In den letzten 150 Jahren wurde es großflächig entwässert und landwirtschaftlich intensiv genutzt, sodass sein ursprünglicher Charakter weitgehend verloren ging. Wo einst Niedermoorpflanzen auf nassen Torfböden wuchsen und somit CO2 gespeichert wurde, werden heute in großen Teilen Kartoffeln und Mais angebaut und große Mengen Treibhausgase freigesetzt. Bis 2031 soll das Donaumoos auf 2.000 Hektar renaturiert werden, das heißt Ackernutzung soll einer bodenschonenden Wiesennutzung weichen und der Grundwasserspiegel im Moor angehoben werden. So will man weitere Verluste des Moorkörpers und damit den Austritt von schädlichen Klimagasen verhindern. Der LBV unterstützt die geplante Wiedervernässung des Donaumooses. Gleichzeitig fordern wir, dass Flächen der Wiesenbrüter- und Feldvogelkulisse sowie Schutzgebiete jeglicher Art nicht mit PV-FFA überbaut werden. Vielmehr ist zu diesen Flächen eine ausreichende Pufferzone von mindestens 300 Metern einzuhalten, denn dort muss der Schutz der Biodiversität Vorrang haben. Auf diesen Flächen ergänzen sich Artenschutz und natürlicher Klimaschutz, durch die CO2-Bindung im gesunden Torfkörper. Die Errichtung von PV-Anlagen sollte nur auf Intensivgrünland und auf Ackerflächen mit stark degradierten Moorböden erfolgen, die von geringer Bedeutung für die Schaffung und den Erhalt von Biodiversität sind. Ferner muss eine dauerhafte Wiedervernässung der Flächen durch den Anlagenbetreiber erfolgen, um alle Klimaschutzpotenziale zu nutzen. Der Bau muss moorschonend ohne weitere Verdichtung des Torfkörpers erfolgen, eine standortgerechte nässeverträgliche Vegetation (z.B. Seggenriede) ist einzubringen und die Fläche darf lediglich extensiv genutzt werden. Floating Photovoltaics Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang sogenannte schwimmende Photovoltaik-Anlagen (FPV, von engl. floating photovoltaics), deren Module auf Schwimmkörpern montiert sind, die auf Gewässern schwimmen können. Verankert ist eine solche Anlage am Gewässergrund, am Ufer oder an angrenzenden Strukturen. Infolge der Modulkühlung durch das Gewässer weisen FPV-Anlagen T H EMA Geeignete Standorte für Freiflächen-PV Intensiv bewirtschaftete Acker-und Grünlandflächen Vorbelastete Flächen (z. B. entlang von Autobahnen, Deponieflächen) Freiflächen in Gewerbe- und Industriegebieten Konversionsflächen aus gewerblicher oder verkehrlicher Nutzung Bedingt geeignet: Landwirtschaftliche Böden hoher Bonität Landschaftsschutzgebiete, landschaftliche Vorbehaltsgebiete Landschaftsbereiche mit Bedeutung für Tourismus und Naherholung Aus Naturschutzsicht unbedenklich: PV-Anlage auf einer Deponie. 20 LBV MAGAZIN 4|22

Positionspapiere des LBV zum Ausbau der Windkraft und Photovoltaik: www.lbv.de/windkraft www.lbv.de/photovoltaik DR. ANDREAS VON LINDEINER Landesfachbeauftragter Naturschutz, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: andreas.von.lindeiner@lbv.de Positionspapier PHOTOVOLTAIK FOTO: CHRISTIAN STIERSTORFER gesteigerte Erträge im Vergleich zu konventionellen Freiflächenanlagen auf. In Deutschland gibt es nur wenige Modellprojekte. Fachleute sehen eine Reihe von Vorteilen, allerdings sind die Auswirkungen solcher Anlagen auf die Biodiversität bisher nicht erforscht. Die meisten Stillgewässer sind zudem wertvolle Lebensräume für Wasservögel und andere Organismengruppen. Viele weisen einen besonderen Schutzstatus auf, zum Beispiel als RamsarGebiet. Der LBV sieht daher solche FPV-Anlagen äußerst kritisch, denn durch sie geht Lebensraum für Wasservögel weitestgehend verloren. Auch besteht eine hohe Gefahr, dass Wasservögel die glänzenden Module mit der Wasseroberfläche verwechseln und sich beim Landeanflug schwere Verletzungen zuziehen. Agri-PV – Mehrfachnutzung von Flächen Ein weiterer Ansatz ist die Agri-Photovoltaik (Agri-PV). Sie bezeichnet ein Verfahren zur gleichzeitigen Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und die PV-Stromerzeugung. Damit verringert Agri-PV die Flächenkonkurrenz und ermöglicht den Ausbau von PV bei gleichzeitigem Erhalt landwirtschaftlich nutzbarer Flächen. Agri-PV-Anlagen sind derzeit tendenziell teurer als konventionelle PV-FFA. Gleichzeitig kann in einer Agri-PV-Anlage weniger Leistung pro Fläche erzielt werden, und die Montagesysteme benötigen Platz, wodurch sich die verfügbare landwirtschaftliche Fläche reduziert. Der LBV sieht Agri-PVAnlagen durchaus als sinnvolles Instrument, um die Flächenkonkurrenz in der Agrarlandschaft zu reduzieren. Aber auch solche Anlagen dürfen nur über intensiv genutzten Ackerstandorten entstehen und keine Flächen der Wiesenbrüter- und Feldvogelkulisse belegen. Insgesamt bietet die Stromgewinnung aus Photovoltaik große Potenziale für eine klimaschonende Energiegewinnung, die sich gut mit dem Natur- und Artenschutz kombinieren lässt. Dafür müssen Natur- und Artenschutzinteressen jedoch bei der Planung von Anfang an berücksichtigt werden und wertvolle Flächen ausgespart bleiben. Wie bei der Windkraft ist auch bei der Photovoltaik die Politik gefragt, die richtigen Leitplanken zu setzen. Positionspapier WINDENERGIE FOTO: THOMAS STAAB HELMUT BERAN Geschäftsführer Naturschutzpolitik und Personalmanagement, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: helmut.beran@lbv.de QUELLE: EIGENE DARSTELLUNG AUF DATENGRRUNDLAGE VON LfU UND C.A.R.M.E.N. E.V. Flächeneffizienz erneuerbarer Energien im Vergleich Windenergie (Anlageleistung 3 MW) MW/ha/a 12–18 340 2.000 0 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 12.000 Photovoltaik (Freiflächenanlage) Biogas (v.a. aus Mais) PV-Anlagen generieren bei gleicher Fläche 20- bis 40-mal mehr Energie als Biogasanlagen, die mit Energiemais betrieben werden. LBV MAGAZIN 4|22 21

22 LBV MAGAZIN 4|22 T H EMA FOTOS: LFV (3) Sinnlose Förderung kleiner Wasserkraftwerke und Privatisierung in Bayern Biodiversität unserer Gewässer in höchster Gefahr! Zunächst sah es nach einem Erfolg für die Ökologie aus: Die Bundesregierung plante im sogenannten Osterpaket die Reduzierung der Förderung von Wasserkraftanlagen mit einer Leistung von weniger als 500 Kilowatt. Doch der Bundestag kippte diesen positiven Vorstoß auf Druck der Wasserkraftlobby. Wasserkraftwerke drehen Flüssen sprichwörtlich das Wasser ab.

LBV MAGAZIN 4|22 23 Im Widerspruch zu den Zielen der EU-Wasserrahmenrichtlinie schrieben die Mitglieder des Deutschen Bundestags mit dem Osterpaket die pauschale Einstufung der Wasserkraft als überragendes öffentliches Interesse fest und zementierten die Förderung für Kleinwasserkraftanlagen. Sie konterkarierten damit Gewässerrenaturierungen sowie den Einsatz der Fischer zum Erhalt der heimischen Fischarten. Über die Hälfte der bayerischen Fischarten steht heute auf der Roten Liste, Wasserkraftanlagen sind hierfür maßgeblich mitverantwortlich. Dass dies auch künftig nicht viel besser werden wird, beweisen neueste Forschungsergebnisse des Landesamts für Umwelt. Das Projekt „Fischökologisches Monitoring an innovativen Wasserkraftanlagen“ bestätigt, dass auch moderne Anlagen den Fischschutz nicht wesentlich verbessern. Ein verheerendes Signal Die Probleme, die die Wasserkraft verursacht, sind so vielfältig wie schwerwiegend: Todesgefahr für Wassertiere durch die Turbinen, Zerschneiden der Fischwanderwege, Unterbrechung des Geschiebetransports, Erwärmung der Gewässer durch den Aufstau – die Liste ließe sich fortsetzen. Deshalb hält auch das Bundesamt für Naturschutz den Neubau und die Förderung von Wasserkraftanlagen mit Leistungen unter einem Megawatt nicht für zielführend. Dem geringen energetischen Ertrag stehen massive und dauerhafte Schäden im Gewässer und in Auenbereichen gegenüber. Wenn nun eine EEG-Förderung für solche kleinen Anlagen gewährt wird, müsste diese zumindest an die Einhaltung der gewässerökologischen Mindestanforderungen des Wasserhaushaltsgesetzes für Mindestwasserführung, Durchgängigkeit und Fischschutz geknüpft sein. Dies ist aber weiterhin nicht vorgesehen. Eine Katastrophe für den Schutz der aquatischen Biodiversität! Entscheidungen für Wenige? Über 4.000 Kleinwasserkraftanlagen mit weniger als einem Megawatt Leistung produzieren nicht einmal zehn Prozent des bayerischen Wasserkraftstroms und somit etwa 1,5 Prozent des bayerischen Gesamtstroms. Würde man diese Leistung verdoppeln wollen, bräuchte man weitere 4.000 Anlagen. Für einen solchen Ausbau gibt es nicht annähernd ausreichend geeignete Standorte. Die weitere Förderung erscheint in diesem Licht äußerst unsinnig: Es wurde nicht im Sinne der Natur entschieden, aber eben auch nicht zum Vorteil der Bürger. Sie sind es, die über die EEG-Mittel einen Wirtschaftszweig fördern, der weder nennenswert zur Energiewende beiträgt, noch ein nachhaltiges Unternehmensmodell verfolgt, denn die Stromausbeute der Kleinwasserkraft sinkt dank immer längerer Trockenperioden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier – getragen von bayerischen Landespolitikern – Klientelpolitik betrieben wird. Echter Wechsel jetzt! Wollte die Regierung mehr Energieunabhängigkeit, müsste sie die Ertüchtigung großer Wasserkraftanlagen forcieren. Das könnte sie tun, indem sie einen Fehler der Vergangenheit korrigiert: In den 1990ern gingen die Konzessionen für fast alle staatseigenen Großwasserkraftanlagen an Konzerne. Unter anderem für die Walchensee- und Lechkraftwerke laufen diese Konzessionen jetzt aus. Sie müssen zurück in Staatshand, das wäre ein echter Paradigmenwechsel! Die Idylle trügt, denn hier wird Lebensraum zerstört. Wehre und Kraftwerke versperren Fischen den Weg und bedeuten für sie Lebensgefahr. PROF. DR.-ING. ALBERT GÖTTLE Präsident des Landesfischereiverbands Bayern

A R T E N S C HU T Z FOTOS: FLORIAN BRAUN - STOCK.ADOBE.COM, HANSRUEDI WEYRICH, RICHARD STRAUB (2) KLATSCHNASS Strömender Regen prägte den Transport von Dagmar und Recka. Auch Sturzbäche aus Felsspalten in der Auswilderungsnische sorgten für ein klatschnasses Betreuerteam und ebenso nasse Geier. Während mancher Träger in den Folgetagen eine Erkältung als „Erinnerung“ erhielt, ließen sich bei den wetterharten Vögeln keine Auswirkungen der unfreiwilligen Dusche erkennen. FLUGKÜNSTLERINNEN Überraschend für das Betreuerteam waren die auffallend besseren Flugfähigkeiten beider Geierdamen dieses Jahr im Vergleich zu Wally und Bavaria. Während zum Beispiel Bavaria nach dem Erstflug eine Woche Übung für punktgenaue Landungen brauchte, gelangen Dagmar solche Kunststücke noch am Tag des Ausflugs. ADLERBESUCH Erstmals konnte dieses Jahr zweimal der Besuch eines jungen Steinadlers in der Geiernische beobachtet werden. Der durchziehende Jungvogel nutzte eine Schlechtwetterperiode, um unbemerkt vom lokalen Adlerpaar ein wenig Futter von den Bartgeiern zu stibitzen. Dagmar und Recka ließen sich nicht weiter davon beeindrucken, waren aber merklich interessiert. So lief das zweite Auswilderungsjahr Mehr Geier für Bayern Nach einem geglückten Debüt im Vorjahr verlief auch die diesjährige Auswilderung der beiden Bartgeier Dagmar und Recka im Nationalpark Berchtesgaden erfolgreich. Wir blicken zurück auf die Höhepunkte. VON TONI WEGSCHEIDER 24 LBV MAGAZIN 4|22

FOTOS: BETTINA BÖMANNS, LBV, LBV VIDEOAUSSCHNITT, TONI WEGSCHEIDER FAN-WANDERUNG Erstmals trafen sich Bartgeierfans des LBVOnlineforums dieses Jahr zu einer gemeinsamen Wanderung mit Toni Wegscheider hinauf zu Dagmar und Recka. Die für viele Fans erste Beobachtung eines Geiers im Spektiv sorgte für leuchtende Augen und die zünftige Einkehr auf der nahen Halsalm für einen beschwingten Abstieg. GEIERHÜTTE Nachdem das Bewachungsteam zwei Saisons lang unter teils frostigen Bedingungen von einem Zelt aus die Bartgeier im Auge behalten musste, konnte nun eine von den Handwerkern des Nationalparks gebaute Holzhütte vor Ort errichtet werden. Wettergeschützt kann das Team jetzt bis zum Projektende deutlich angenehmer die langen Beobachtungsschichten absolvieren. INFOSTAND Noch einmal deutlich mehr Interessierte als letztes Jahr fanden heuer den Weg hinauf zum offiziellen Infostand von Nationalpark Berchtesgaden und LBV. Mit bestem Blick auf die Auswilderungsnische und die für Flugübungen genutzten Hänge konnten tausende Begeisterte packende Geierbeobachtungen machen. GÄNSEHAUT Das einmalige Erlebnis einer Nahbegegnung mit Recka hatten zwei Kletterer am Hochkalter, als der riesige Jungvogel zum Greifen nahe an ihnen vorbeiflog und wenige Meter weiter auf einem Felsen landete. Nur mit beiläufigen Blicken auf die beglückt filmenden Menschen legte Recka eine Rast ein und ließ sich nicht weiter durch die Präsenz der Bergsteiger stören. QR-Code zum Handy-Video. LBV MAGAZIN 4|22 25

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