LBV magazin 2-24

LBV MAGAZIN 2|24 1 Was flattert im Garten? Faszination Schmetterlinge VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN magazin 2|2024 In den Bergen Wir wollen mehr über unsere Alpenvögel wissen Vor der Wahl Die Bedeutung der EU für den Naturschutz Hinterm Häuschen Unterwegs mit der LBVGartenjury

2 LBV MAGAZIN 2|24 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de BRING LEBEN IN DEINEN GARTEN! VOGELSCHUTZ AN GLASFLÄCHEN Um Vogelschlag nachweislich zu reduzieren, haben das Schweizer Unternehmen SEEN AG gemeinsam mit dem LBV und anderen Institutionen aus dem Vogel- und Naturschutzbereich eine innovative und kostengünstige Lösung zur nachträglichen Markierung von Glasflächen entwickelt. Die Vogelschutzmarkierung SEEN Elements macht Glas für Vögel hochwirksam sichtbar und bedeckt dabei weniger als 1 Prozent der Scheibenoberfläche. Die AluminiumPunkte haben einen Durchmesser von 9 Millimeter und werden im Abstand von 9 Zentimeter angebracht. SEEN Elements - shiny/black Die einseitig reflektierende Ausführung SEEN Elements ist für Fenster geeignet, wenn Vögel nur von einer Seite anfliegen. SEEN Elements - shiny/shiny Die beidseitig reflektierende Ausführung SEEN Elements ist für freistehende Glasflächen geeignet, wenn Vögel beidseitig anfliegen, wie beispielsweise Windschutzwände, Bushaltestellen oder Lärmschutzwände. Neu

LBV MAGAZIN 2|24 3 im Alltag erscheint vielen von uns die EU eher als „weit weg“. Was „die da“ in Brüssel machen, wirkt meist nicht sehr bedeutungsvoll für den Alltag. Doch wussten Sie, dass wir der Europäischen Union das größte Schutzgebietsnetz der Erde verdanken? Viele unserer seltenen und bedrohten Tier- und Pflanzenarten hätten wir ohne diese sogenannten Natura 2000-Gebiete wohl schon längst verloren. Zusammen sorgen sie für die Sicherung von so vielen seltenen und faszinierenden heimischen Arten. Ab Seite 20 erklären wir Ihnen die Bedeutung der EU für den Naturschutz auch in Bayern und wollen damit klarmachen, warum diese Richtlinien nicht angetastet werden dürfen. Leider gibt es schon seit einiger Zeit europaweit intensive Bestrebungen, diese einzigartigen Schutzrichtlinien massiv aufzuweichen. Der Schaden für den Schutz vieler unserer bedrohten Arten wäre deshalb immens. Ihre Stimme bei der Europawahl am 6. Juni wird also auch zu einer Abstimmung über diese Richtlinien und damit den Erhalt unserer liebgewonnenen bayerischen Natur. Liebe Leserinnen und Leser, Naturschutz und Politik Viel Spaß beim Lesen! Ihr Markus Erlwein Chefredakteur Damit Sie einen noch lebendigeren Einblick in unsere Naturschutzarbeit bekommen, nimmt Sie meine LBV-Kollegin Franziska Back ab jetzt in jeder Ausgabe in unserer neuen Reportage-Rubrik „Übers Nest geschaut“ mit auf die Reise in den LBV. Freuen Sie sich auf Menschen und ihre Geschichten in Bayerns ältestem Naturschutzverband. Übers Nest geschaut EDITORIAL FOTO: PRIVAT Tagesaktuelle Nachrichten finden Sie unter lbv.de/newsletter lbv_bayern lbv.de VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN LBV magazin

4 LBV MAGAZIN 2|24 klima-druck.de ID-Nr. Druckprodukt CO₂ kompensiert 24171084 Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. www.blauer-engel.de/uz195 · ressourcenschonend und · umweltfreundlich hergestellt · emissionsarm gedruckt XW1 überwiegend aus Altpapier Sie lesen klimaneutral und umweltfreundlich 6 Im Fokus Fünf Jahre „Rettet die Bienen!“ 8 Leserbriefe 9 Kurzmeldungen 10 Standpunkt Dr. Norbert Schäffer 12 Auf zur Schmetterlingssuche! Neue Mitmachaktion „Falter im Fokus“ 14 Ein Garten für Schmetterlinge Mehr Vielfalt und Blütenreichtum 16 Reportage „Übers Nest geschaut“ Unterwegs mit der LBV-Gartenjury 20 Europas Bedeutung für Bayern Was hat die EU für den Naturschutz gebracht? 24 LBV-Schutzgebiet Widdumer Weiher 26 Spendenaktion Der Kiebitz – bedrohter Luftakrobat 14 16 42 Tipps für einen schmetterlingsfreundlichen Garten. Wir haben zwei LBV-Gartenbewerterinnen bei einem Besuch begleitet. TITELBILD: SCHWALBENSCHWANZ | ERICH OBSTER FOTOS: DR. EBERHARD PFEUFFER (2), FRANZISKA BACK, CHRISTOPH BOSCH, RALPH STURM, ANDREA TRÖSSE, MARKUS GLÄSSEL Wie Sie Vogelschlag an Scheiben vermeiden können. Nehmen Sie Falter in den Fokus und melden Sie uns Schmetterlinge. INHALT 12 So wichtig ist die EU für den Naturschutz in Bayern. 20 INHALT

LBV MAGAZIN 2|24 5 38 44 So faszinierend ist die Welt der Alpenvögel. Einhefter • Spenden-Überweisungsträger • Meldebogen Stunde der Gartenvögel 28 LBV AKTIV 34 NAJU Neues von der Naturschutzjugend 37 Erbschaft Ihr Vermächtnis oder Nachlass für den Naturschutz 38 Der Berg ruft! Die Welt der Alpenvögel 42 Unsichtbare Todesfalle Vogelschlag an Glas 44 Umweltbildung Projekt „TrinkBar“ 46 Stiftung Mitsprache beim Naturschutz 47 Aus dem LBV • Wassererlebnistage • Stunde der Gartenvögel 48 Medien Buchempfehlungen 49 Kleinanzeigen 50 Impressum und Kontakte 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de Goebel-Figuren Vogel des Jahres 2023. Jetzt Erstausgabe aus der weltbekannten Manufaktur sichern! Naturgetreue Skulptur in Sammlerqualität. Handbemalt in Deutschland und aus feinstem Porzellan hergestellt. ANZEIGE ­ DAS BRAUNKEHLCHEN In einem Projekt erfahren Kinder mehr über die Bedeutung von Wasser.

VOLKSBEGEHREN | FOTO: USCHI ANLAUF Am 17. Juli jährt sich die Annahme des Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ durch den Bayerischen Landtag zum fünften Mal. Als Teil des Trägerkreis aus LBV, ÖDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Gregor Louisoder Umweltstiftung werden wir in der kommenden Ausgabe einen umfangreichen Blick auf die Entwicklungen seitdem werfen. FÜNF JAHRE „RETTET DIE BIENEN!“ 6 LBV MAGAZIN 2|24

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8 LBV MAGAZIN 2|24 LESERBRIEFE Ihre Meinung ist uns wichtig! Schreiben Sie uns unter leserbriefe@lbv.de oder per Post an Redaktion LBV magazin, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein. Die Redaktion behält sich aus Platzgründen eine Auswahl und das Kürzen von Leserzuschriften vor. Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. i Post Zum Artikel „Ein Buffet für Wintervögel“ (4/23) Rezept ohne Palmfett Erstmal großes Lob und vielen Dank für das einmal mehr sehr gelungene Mitgliedermagazin. Ich lese das immer so gerne und gebe es dann auch an mein Patenkind weiter, weil es informativ, lehrreich und lebensnah ist. Eine kleine Anmerkung habe ich aber, bitte sehen Sie es mir nach. Ich bin doch ein bisschen verwundert, dass beim Rezept für die Fettfutter-Küchlein für den Winter (tolle Idee übrigens, werden wir am Wochenende gleich mal ausprobieren) Palmfett als Fettalternative aktiv aufgeführt wird. Das ist aus vielerlei Hinsicht sicher kein Produkt, das der LBV bewerben sollte. Wie gesagt, minimale Anmerkung und vielleicht auch ein bisschen lachhaft – aber diese kleinen Dinge sind es halt manchmal, die (Kauf-)Verhalten ändern können oder nicht. Immanuel Reinschlüssel, 90762 Fürth Anm. der Redaktion Das Produkt Palmfett kritisch zu betrachten und bestenfalls zu vermeiden ist absolut wichtig und richtig. Wir hatten daher sowohl im Text als auch im Rezept extra darauf hingewiesen, auf jeden Fall auf die Zertifizierung zu achten. Zum Artikel „Heimisches Samenbuffet“ (1/24) Geschwister der Vögel Hier geht es um den naturnahen Garten, und zwar um einen seiner Aspekte, der sonst eher am Rande genannt wird: Ein Garten mit Wildpflanzen bietet nämlich viele Vorteile, unter anderem dass er viel Essbares auch für Menschen enthält. Wer sich auskennt, kann fast das ganze Jahr über Suppen und Salate aus Blättern, Wurzeln und Blüten zubereiten. Damit schont man nicht nur die Umwelt und verzichtet auf Konsum, sondern man kann sich darüber hinaus den Vögeln und anderen Tieren ganz nahe fühlen, wenn einem das guttut und schmeckt, was auch sie mögen, wie etwa die nach Mais schmeckende Vogelmiere, deren Samen Omega-III-Fettsäuren enthalten. Ich möchte aber trotzdem deutlich sagen, dass man nach meiner Erfahrung selbst im sturkturreichsten Wildgarten für den Winter Vogelfutter zukaufen muss. Denn dann sind die begehrten Teile der Wildpflanzen oft bereits weggefressen oder ungenießbar, was nicht immer mit bloßem Auge zu erkennen ist. Silja Luft-Steidl, 91180 Heideck Zum Editorial „Für die Demokratie!“ (1/24) Danke für den Mut Ich möchte mich bei Ihnen von ganzem Herzen für Ihren klaren Ausspruch für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Ihrem Editorial vom letzten LBV Magazin bedanken! Das ist so wichtig in diesen manchmal dunklen Zeiten. Eva Hoigt, 81247 München Hier „mein“ Vogel des Jahres 2024. Ich habe das Titelfoto der letzten Ausgabe abgezeichnet und auch schon einige andere Vögel gemalt, die zur allgemeinen Freude bei uns in der Wohnung hängen. Siegfried F. Benke, 82377 Penzberg Exklusives Zuhause für Turmfalken Die letzten vier Jahren hatten wir das Glück, unter unserem Dach ein Turmfalkenpaar bei der Aufzucht ihres Nachwuchses beobachten zu dürfen. Mittlerweile können unsere „Mieter“ eine exklusive Unterkunft mit Lande- und Abflugrampe nutzen. Dank einer Webcam können sich alle Familienmitglieder per Handy über den Brutverlauf informieren. Letztes Jahr brachten die Eltern Camilla und Charles alle sechs Jungvögel durch. Damit haben seit 2020 bereits 18 junge Turmfalken den Nistkasten verlassen. Wir als „Vermieter“ warten gespannt, ob sich auch 2024 wieder ein Brutpaar bei uns einfindet. Peter Hader, 91239 Henfenfeld Vogel des Jahres 2024 abgezeichnet FOTOS: PETER HADER (2), © 2022 IF...PRODUCTIONS / FILMPERLEN, SARAH BERNHARD, HEIDRUN ALBRECHT

Morgendliches Vogelkonzert für die Wissenschaft festhalten Das Morgenkonzert der erwachenden Vogelwelt ist ein magischer Moment – und der ideale Zeitraum, um Aufnahmen für das Citizen-Science- und Kunstprojekt Dawn Chorus zu machen. Anfang Mai startet wieder der Hauptaufnahmezeitraum für Vogelstimmen, in dem Menschen auch ohne Vorwissen via Dawn Chorus-App zu Erkenntnissen über die Vogelwelt beitragen können. Je mehr Menschen sich regelmäßig an dem Projekt beteiligen, desto aussagekräftiger wird der Datenschatz, auf den die Forschung zugreifen kann. Alle Informationen zu Teilnahme, aktuellen Events und weiteren Aktionen im Zusammenhang mit Dawn Chorus finden sich unter dawn-chorus.org. Machen Sie mit! Digiskopie-Workshop am Almühlsee Vom 20. bis 22. September 2024 veranstaltet der LBV in Zusammenarbeit mit seinen Partnern SWAROVSKI OPTIK und Birdingtours einen mehrtägigen Digiskopie-Workshop am Altmühlsee. Unter der Leitung von Dr. Jörg Kretzschmar können Teilnehmende auch dieses Jahr verschiedenste Produkte von SWAROVSKI OPTIK testen und in Kombination mit der eigenen Technik das Digiskopieren erlernen. Das neue Spektiv ATC/STC von SWAROVSKI OPTIK steht zum Ausprobieren bereit. Der dreitägige Workshop beleuchtet alle Möglichkeiten der Digiskopie, egal ob mit Spiegelreflexkamera, Systemkamera oder Smartphone. Dabei wird das Spektiv zum leistungsstarken Teleobjektiv und ermöglicht Brennweiten von bis zu 2.700 Millimetern. Preis pro Person im Doppelzimmer ab 490 €. Weitere Informationen und Anmeldung bei birdingtours unter Tel. 07634-504 98 45 oder auf birdingtours.de. Gezwitscher KURZMELDUNGEN Bayernweiter Schutz für den Vogel des Jahres 2024 Damit der Schutz des Vogels des Jahres 2024 sich nicht auf einzelne Gebiete beschränkt, schult das Team des LBV-Artenhilfsprojekts zum Kiebitz ehrenamtliche Helfende und hauptamtliche Naturschützerinnen und Naturschützer aus ganz Bayern. In Zusammenarbeit mit dem Landschaftspflegeverband Mühldorf und dem örtlichen Wildlebensraumberater des AELF-Töging fand der Workshop „Gelegeschutz beim Kiebitz“ statt. Rund 60 Teilnehmende besuchten die überregionale Veranstaltung in Mettenheim. Am Vormittag konnten sich die Aktiven zu Brutbiologie oder gängigen Vorgehensweisen bei der Nestsuche informieren. Das Gelernte konnte dann bei der Suche nach künstlichen Kiebitznestern im Feld angewendet werden. Außerdem gab Esther Lindner vom Landschaftspflegeverband Mühldorf Einblicke in den Aufbau und die Funktion eines Schutzzauns. TV-Premiere von Vogelperspektiven Auch wenn es noch einige Zeit hin ist, möchten wir Sie jetzt schon auf eine ganz besondere TV-Premiere hinweisen: Am 31. Juli um 22.50 Uhr wird in der ARD die Dokumentation Vogelperspektiven, in der der LBV eine der beiden Hauptrollen spielt, zum ersten Mal im Fernsehen gezeigt. Regisseur Jörg Adolph begleitet in seinem Film unter anderen den LBV-Vorsitzenden Dr. Norbert Schäffer bei der Arbeit. Kombiniert mit den Gedanken des Autors Arnulf Conradi aus seinem Buch Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung untermalt Adolph den Film mit beeindruckenden Vogelaufnahmen und verbindet so Naturschutz und Ästhetik in einer sehenswerten Doku miteinander. Daher: keinesfalls verpassen, jetzt schon mal vormerken und am besten gleich als TV-Tipp im Kalender eintragen! LBV MAGAZIN 2|24 9

10 LBV MAGAZIN 2|24 S T ATNHDEPMUAN K T DR. NORBERT SCHÄFFER LBV-VORSITZENDER Endlich wieder Frühling! Jede Jahreszeit hat ihre Reize und Besonderheiten, aber der Frühling ist schon etwas ganz Besonderes. Wie habe ich mich auf die erste singende Amsel auf dem Dachfirst gefreut, die ersten auf ihren Nistkästen sitzenden Stare und – ganz besonders – die erste über die Trockenmauer in unserem Garten huschende Zauneidechse! Endlich wieder jede Menge Farbe, Stimmen und Leben – aber irgendwie ein wenig zu früh: Apfelbaum- und Löwenzahnblüte bereits Anfang April, zahlreiche Zugvögel in ihrem Brutgebiet bereits einige Wochen vor dem langjährigen Mittel, hochsommerliche Temperaturen vor Mitte April und sogar überwinternde Wanderfalter wie Admirale. Wir sind mitten im Klimawandel, das wird immer offensichtlicher. Unsere Natur wird sich dramatisch verändern. Schmetterlinge Etwas ganz Besonderes sind auch die ersten Schmetterlinge im Jahr: Zitronenfalter oder Tagpfauenauge, Aurorafalter oder ein kleiner Kohlweißling, vielleicht sogar ein Admiral. Eigentlich sind Admirale, wie beispielsweise auch Distelfalter, Wanderfalter, die jeden Frühsommer im Mai und Juni aus dem Süden bei uns eintreffen und deren Nachkommen sich im Herbst wieder auf den Weg nach Süden machen. So war es seit Menschengedenken. In durch den Klimawandel zunehmend milden Wintern schaffen es immer mehr Admirale, bei uns zu überwintern. Diese Tiere fliegen dann schon im März und April. Ein neues Phänomen. Mit unserem bürgerwissenschaftlichen Projekt „Falter im Fokus“ möchten wir diese Entwicklung verfolgen. Bitte melden Sie uns Ihre Beobachtung von Admiral, aber auch Taubenschwänzchen und Schwalbenschwanz (siehe Seite 12). So helfen Sie uns herauszufinden, wie der Klimawandel unsere heimischen Falter beeinflusst. Vogelfreundlicher Garten Unser ausgesprochen erfolgreiches Projekt „Vogelfreundlicher Garten“ geht in die nächste Runde. Zusammen mit dem Bayerischen Artenschutzzentrum am Landesamt für Umwelt (LfU) zeichnen wir nach festen Kriterien Gärten aus, die ganz besonders vogelfreundlich sind. In den vergangenen Jahren haben die über 600 geschulten Gartenbewerterinnen und -bewerter, alle übrigens ehrenamtlich tätig, über 3.500 Gärten ausgezeichnet. Heuer versuchen wir, den Wert 5.000 zu knacken! Rote Linien im Naturschutz Erschrocken sind wir über Vorschläge, zwei Flächen mit einer Ausdehnung von insgesamt 17 Hektar aus der nutzungsfreien, streng geschützten Kernzone des Nationalparks Bayerischer Wald herauszunehmen, um sie in die Managementzone des Nationalparks zu überführen, damit dort eine Borkenkäferbekämpfung durchgeführt werden kann. Warum aber verteidigt der LBV hier, fast mit Zähnen und Klauen, die Unantastbarkeit der Kernzone? Der naturschutzfachliche Wert dieser Schutzzone liegt darin, egal was passiert, nicht einzugreifen, nicht zu managen, sondern nur zu beobachten, zu dokumentieren und zu lernen. In einer Nationalparkkernzone können wir wunderbar lernen, wie sich der Wald entwickelt, wenn der Mensch sich heraushält. Försterinnen und Förster sagen mir oftmals, dass wir nicht wissen, wie unser Wald, bedingt durch die Klimakatastrophe, in 30 oder 40 Jahren aussehen wird. In der Kernzone eines Nationalparks können wir genau dies erfahren. Nach dem Borkenkäferschaden in der Kernzone im alten Teil des Nationalparks, beispielsweise Mitte der 1990er Jahre zwischen Lusen und Rachel, haben wir gelernt, dass nach dem Absterben recht homogener Fichtenbestände ein neuer, sehr vielfältiger Wald nachwächst. Hätten wir damals einSTANDPUNKT unantastbar Manches ist Wir können von der Kernzone des Nationalparks lernen

LBV MAGAZIN 2|24 11 gegriffen, wäre uns diese Erkenntnis verwehrt geblieben. Übrigens hat auch die Nationalparkleitung bestätigt, dass ein Borkenkäfermanagement in den jetzt betroffenen Flächen aus fachlicher Sicht des Waldschutzes nicht erforderlich ist, um Wälder von Anliegern des Nationalparks zu schützen. Hier soll also, sogar ohne fachliche Begründung, eine Rote Linie im Naturschutz überschritten werden, nur um dem politischen Druck aus Kreisen der Privatwaldbesitzer nachzugeben. Selbstverständlich würde dies weitere Begehrlichkeiten wecken, auch über den Nationalpark Bayerischer Wald hinaus. Die Kernzone eines Nationalparks muss unantastbar sein. Diese Rote Linie darf nicht überschritten werden, ganz egal wie weit! Wir fordern ein Versprechen, dass dies nie wieder passiert! EU-Wahlen im Juni 2024 Anfang Juni 2024 finden die Wahlen zum EU-Parlament statt. Zugegeben, in den vergangenen Wochen wurden, ausgelöst durch sehr öffentlichkeitswirksame Bauernproteste, die Umweltstandards auf EU-Ebene weit zurückgedrängt und zum Teil vollkommen aufgegeben. Beispiele hierfür sind die Brachflächen in der Agrarlandschaft, die Ziele zur Halbierung von Pestiziden oder die Renaturierungsdirektive. Die entsprechenden Entwicklungen wurden insbesondere aus Bayern forciert und zum Teil initiiert – dies übrigens in eklatantem Gegensatz zu den Zielen des erfolgreichen Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“. Dennoch ist die EU beispielsweise durch die Vogelschutz- und Habitatschutzrichtlinie und das hierauf aufbauende Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 eine wichtige Stimme für den Schutz unserer Natur. Aus diesem Grund möchte ich Sie, im Wissen, dass Sie sich für unsere Natur begeistern und engagieren, dazu aufrufen, an der EU-Wahl teilzunehmen. Dr. Norbert Schäffer Alpenvögel Grundlage aller Positionen und Forderungen des LBV ist eine solide fachliche Basis. Als Vorsitzender eines Fachverbandes lege ich hierauf allergrößten Wert. Deshalb führen wir seit vielen Jahren umfangreiche, wissenschaftliche Untersuchungen durch, beispielsweise die groß angelegten VogelmonitoringProgramme zusammen mit dem Landesamt für Umwelt (LfU). Eine schmerzhafte Lücke in unserem Wissen über unsere Vogelwelt klafft in den Alpen, obwohl sich dieser Lebensraum mit seinen oftmals sehr spezialisierten Arten durch die Klimakatastrophe schneller wandelt als Regionen im Tiefland. Wir haben uns vorgenommen, diese Lücke zu schließen. Vielleicht können wir ja einige von Ihnen für unsere Alpenvögel begeistern und vielleicht sogar für eine aktive Mitarbeit gewinnen? Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Frühjahr! Teilen Sie Ihre Begeisterung für unsere Natur mit anderen. Sie sind damit, egal ob in Ihrem Garten oder im Gebirge, nicht allein! ZAUNEIDECHSE I FOTO: THOMAS STAAB Naturschutz darf auf EU-Ebene nicht zurückgedreht werden Folgen Sie mir auf X unter @N_Schaeffer

THEMA Neue Mitmachaktion Das Taubenschwänzchen trinkt ähnlich einem Kolibri im Schwirrflug vor der Blüte schwebend. Der Admiral ist im Herbst häufig an den Blüten des Efeus zu beobachten, an denen er sich für den Zug stärkt. Der Schwalbenschwanz sucht bei der sogenannten Gipfelbalz erhöhte Punkte in der Landschaft auf, um dort Fortpflanzungspartner zu finden. Auf zur Schmetterlingssuche! 12 LBV MAGAZIN 2|24

FOTOS: RALPH STURM, ERICH OBSTER, JANINE - STOCK.ADOBE.COM In diesem Frühling startet der LBV das neue Mitmachprojekt „Falter im Fokus“. In drei bestimmten Monaten im Jahr rufen wir Sie zum Melden einer Schmetterlingsart auf, um mehr über deren Verbreitung im Freistaat zu erfahren. Gesucht werden im März der Admiral, im Juli der Schwalbenschwanz und im September das Taubenschwänzchen. Machen Sie mit und melden Sie uns Ihre Schmetterlinge! Auf zarten Flügeln taumeln sie durch die Luft oder laben sich am Nektar ihrer Lieblingsblüten: Schmetterlinge sind allseits beliebt, trotzdem erstaunlich unbekannt und leider immer stärker bedroht. Der LBV will nun herausfinden, wie sich insbesondere der Klimawandel auf unsere heimischen Falter auswirkt und hat daher seinen Fokus auf drei Falter gelegt. Durch ihre Größe, Farbenpracht und Flügelzeichnung sind der Admiral und der Schwalbenschwanz bekannte Vertreter unserer heimischen Tagfalter. Der Admiral zählt zu den Edelfaltern, unsere größte Tagfalterfamilie, welche auch Schönheiten wie die Schillerfalter, Perlmuttfalter, Scheckenfalter und das allseits beliebte Tagpfauenauge vereint. Die nächste Verwandtschaft des Schwalbenschwanzes sind Segelfalter und Apollofalter, alles Angehörige der Ritterfalter. Bei Sichtung eines umherhuschenden Taubenschwänzchens denken zwar viele Menschen zuerst an einen Kolibri. Jedoch handelt es sich um einen Nachtfalter aus der Familie der Schwärmer. Lebensweise Admiral und Taubenschwänzchen sind Wanderfalter, die in der kalten Jahreszeit nach Südeuropa und Nordafrika ziehen. Erst die nächste Generation kehrt im folgenden Jahr zurück, einige Individuen überwintern auch bei uns. Ihr Überleben hängt dabei stark von der winterlichen Witterung ab, die vermutlich aufgrund des fortschreitenden Klimawandels immer günstiger für sie wird. Der Schwalbenschwanz hingegen überwintert bei uns regulär im Puppenstadium. Trotzdem könnten sich Veränderungen im Klima und der Vegetationsperiode auch auf ihn auswirken, da er je nach Regionalklima nur eine oder bis zu fünf Generationen pro Jahr ausbilden kann. Bei der Wahl der Nektarpflanze ist keine der drei Falterarten wählerisch. Das Taubenschwänzchen fliegt selbst exotische Gartenpflanzen wie Petunien an. Anders sieht es bei der Wahl der Raupennahrungspflanzen aus. Die Raupen der Taubenschwänzchen fressen ausschließlich an Labkraut-Arten wie Echtem Labkraut oder Wiesen-Labkraut. Der Admiral ist einer der vielen Schmetterlinge, welche sich auf die Brennnessel spezialisiert haben. Zum Schutz vor LESSER STIFTUNG FÜR NATURSCHUTZ Fressfeinden spinnen sich die einzelnen Raupen Blatttüten aus Brennnesselblättern, in denen sie sich oft auch verpuppen. Der Schwalbenschwanz nimmt verschiedene Pflanzenarten als Raupennahrung an, die meisten davon Doldengewächse wie die Wilde Möhre und die Kleine Bibernelle. In Gärten fressen die Raupen des großen Falters auch an den Blättern von Dill, Liebstöckel und Pastinake. Warum Schmetterlinge melden? Alle drei Arten können Sie das ganz Jahr auch im Garten beobachten. Besonders interessant sind für uns vor allem die Meldungen aus den drei Fokusmonaten der jeweiligen Art, da wir daraus die meisten neuen Erkenntnisse ziehen können. Da beim Admiral Zuzügler aus dem Süden erst ab etwa Anfang April beobachtet werden können, sind Meldungen im März besonders aufschlussreich für uns. Diese sind höchstwahrscheinlich Admirale, die erfolgreich bei uns überwintern konnten. Der Schwalbenschwanz hat in Bayern seine Hauptflugzeit im Juli, weshalb Sichtungen in diesem Monat am wahrscheinlichsten sind und am meisten Aufschluss über seine Verbreitung zulassen. Die Zahlen des Taubenschwänzchens fluktuieren übers Jahr hinweg mit Flughöhepunkten im Hochsommer. Vermutlich vermischen sich hier neu geschlüpfte bayerische Generationen mit Zuzüglern aus dem Norden, welche im Herbst weiter gen Süden ziehen oder in geringer Zahl sogar bei uns überwintern. Aus diesem Grund bitten wir besonders um Sichtungsmeldungen im September, um die herbstlichen Populationsschwankungen und mögliche Überwinterer bei den Taubenschwänzchen genauer beobachten zu können. Fazit: Auf lange Sicht können uns die Verbreitungsdaten dieser Schmetterlinge die Populationsentwicklungen und Veränderungen im Zug- und Überwinterungsverhalten aufzeigen. Besonders im Hinblick auf den Klimawandel sind die Daten durch Ihre Meldungen für uns von Interesse und Bedeutung. ELISA TREFFEHN M.Sc. Biodiversität und Ökologie, Projektmanagement Artenkenntnis Schmetterlinge E-Mail: elisa.treffehn@lbv.de Schmetterlinge besser kennenlernen Melden Sie sich zu unserem neuen Artenkenntniskurs der Tagfalter und Widderchen in Zusammenarbeit mit Dr. Andreas Segerer und der Zoologischen Staatssammlung München an. Infos und Anmeldung: lbv.de/mitmachen/termine/kurs-artenkenntnis In Kooperation mit: Gefördert von: LBV MAGAZIN 2|24 13

FOTOS: STEFAN MASUR, THOMAS STEPHAN, ANDREAS HARTL Ein Garten für Schmetterlinge Um ein kleines Schmetterlingsparadies im eigenen Garten zu erschaffen, sollten Sie bei der Pflege und Bepflanzung alle Entwicklungsstadien der Falter beachten und fördern. VON ELISA TREFFEHN sitzen so viele Schachbrettfalter, dass sie sich gegenseitig herunterschubsen. Die mickrigen Exemplare des Natternkopfs, die im Schotter zwischen den Pflastersteinen wachsen, hat ein Distelfalter für sich entdeckt, von einer blauen Blüte zur nächsten eilend, während eine Gruppe metallisch glänzender Langhornfalter die sonnigen Blätter der Rotbuche am Rand der Hecke als Treffpunkt nutzt. Über ihnen erreicht ein Kaisermantel-Weibchen den Garten. Vielleicht wird es seine Eier an den Stamm des alten Birnbaums legen, unter dem so viele Veilchen wachsen. All das wollen Sie in Ihrem Garten? Das geht zwar nicht über Nacht und die Artzusammensetzung ist stark abhängig vom Standort, doch schon mit wenigen Maßnahmen können Sie Ihren Garten schmetterlingsfreundlich gestalten. Die Familie der Schmetterlinge hat in Deutschland etwa 3.700 Arten hervorgebracht, etwa fünf Prozent davon Tagfalter, jede mit ihren eigenen Umweltansprüchen. Generell gilt jedoch: ein zu sehr gepflegter Garten eignet sich nicht als Heimat für Schmetterlinge. Ausgewachsene Falter benötigen in den allermeisten Fällen Blütennektar, um Energie für eine erfolgreiche Fortpflanzung zu haben. Doch Blütenreichtum ist nur der Anfang eines schmetterlingsfreundlichen Gartens. Nach der Paarung legt das Falterweibchen seine Eier an bestimmten Pflanzen oder in deren Umgebung ab. Die Auswahl der Pflanze geschieht auf Basis einer evolutionären Entwicklung, bei der die Raupen Immunitäten gegen spezifische pflanzliche Abwehrstoffe entwickelt haben. Das bedeutet, dass die Raupen der meisten Falterarten nur an wenigen verschiedenen oder gar nur einer einzigen Pflanzenart fressen können. Exotische Pflanzen und teilweise auch Sorten heimischer Pflanzen werden somit nicht als Nahrung angenommen. Die Sommersonne strahlt und selbst im Schatten der Schlehen-Hartriegel-Hecke, die als Gartenzaun dient, ist die Luft beinahe unangenehm warm. Doch während die Vögel Mittagspause machen, haben die Insekten ihren Aktivitätshöhepunkt erreicht. Die Büschel von duftendem Wilden Majoran, die hier und da aus dem Blumenkräuterrasen ragen, haben zahlreiche Besucher. Neben der Feldwespe und der Blutbiene flattern zwei Schornsteinfeger im Wechsel von Balz und Nektaraufnahme. Auf der Blüte der benachbarten Wiesen-Flockenblume GARTEN 3 2 1 Mehr Vielfalt und Blütenreichtum 14 LBV MAGAZIN 2|24

FOTOS: DR. EBERHARD PFEUFFER (3), OLIVER WITTIG die Vegetation wegen Nährstoffüberschusses stark auf, wirkt sich das ebenfalls negativ auf Anzahl und Diversität der Schmetterlinge aus. Wenn Sie bereits Schmetterlinge im Garten haben, können Sie diese gezielt unterstützen, indem Sie deren bevorzugte Raupennahrungspflanzen anpflanzen. Ist dies nicht der Fall, pflanzen Sie auf gut Glück! Beinahe jede heimische Pflanze hat mindestens eine Schmetterlingsart, die sich von ihr ernährt. Auch heimische Gehölze und Gräser sind dabei nicht zu vergessen. Weiterführende Links • Tipps und Hinweise unter lbv.de/schmetterlinge • Hitliste der Schmetterlingspflanzen des BfN: floraweb.de/php/schmetterlingspflanzen.php • Heimische, regionale Wildstauden: tausende-gaerten.de Haben die Raupen genug gefressen, suchen sie einen Ort, um sich zu verpuppen. Das geschieht entweder als Gürtelpuppe (durch einen Seidenfaden auf Taillenhöhe befestigt) oder als Stürzpuppe (kopfüber hängend) an Pflanzen oder als freie Puppe am Boden im Laub. Die Puppe ist häufig das Stadium, in dem der künftige Falter den Winter überdauert. Mähen wir also mehrere Male im Jahr den Rasen, räumen im Herbst alles Laub weg, schneiden alle Pflanzen zurück und kürzen jeden Winter die Hecke, so entfernen wir damit alle überwinternden Raupen, Puppen und Eier von Schmetterlingen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der negative Einfluss von Giften und Kunstdünger. Überdüngung einer Raupennahrungspflanze kann diese für das Falterweibchen chemisch unkenntlich und für die Raupen toxisch machen. Darüber hinaus benötigen Schmetterlinge viel Wärme und bevorzugen eher offenen Boden. Wächst (1) Schachbrettfalter: Als Raupe frisst er an Gräsern. (2) Langhornfalter: Seine Raupen leben nicht an Pflanzen, sondern in der Laubstreu. Dort ernähren sie sich von feinem organischen Material. (3) Der Kaisermantel trinkt gerne am feuchtigkeitsliebenden Wasserdost. (4) Der Schornsteinfeger bevorzugt violette Blüten, wie etwa Dost. (5) Der Distelfalter ist bei der Suche nach Nektarpflanzen nicht wählerisch. Das gilt auch für seine Raupen bei den Nahrungspflanzen. In einem Naturgarten muss nicht jeder Zentimeter mit üppigen Pflanzen bedeckt sein. Offene Bodenstellen werden z.B. vom (6) Großen Schillerfalter und vom (7) Idas-Bläuling gerne für ein Sonnenbad oder zur Aufnahme von Mineralien genutzt. 7 6 5 4 LBV MAGAZIN 2|24 15

REPORTAGE „Zeig mir deinen Garten und ich sag dir, wer du bist“ Unterwegs mit der LBV-Gartenjury 16 LBV MAGAZIN 2|24

LBV MAGAZIN 2|24 17 FOTO: FRANZISKA BACK Als zwei von bayernweit rund 500 ehrenamtlichen Gartenjury- Mitgliedern sind Ruth Güllich und Christine Bollmann von Frühling bis Herbst in den Gärten des Landkreises Neustadt/Aisch-Bad Windsheim unterwegs, um sie als „vogelfreundlich“ zu zertifizieren. Ein Ausflug in eine wilde Oase in Mittelfranken. Hier wohnt jemand, der naturnah und kreativ ist. Das weiß Ruth Güllich bereits, bevor sie den Garten von Gabi Neubert in der Gemeinde Markt Erlbach in Mittelfranken betreten hat. Schon oft ist ihr das Grundstück mitten im Ort im Vorbeifahren aufgefallen, besonders wegen des selbstgemachten Weidenzauns vor dem Haus und der mächtigen alten Bäume, die schon von Weitem zu sehen sind. Umso größer ist die Freude, dass sie gemeinsam mit ihrer Gartenjury-Kollegin Christine Bollmann heute einen Blick hinter das Gartentürchen werfen darf. Bereits das dritte Jahr in Folge tingeln die beiden Frauen durch den Landkreis Neustadt/ Aisch-Bad Windsheim und zeichnen Gärten mit der Plakette „Vogelfreundlicher Garten“ aus. „Das hier ist Nummer 32, ich habe mitgezählt“, erklärt Ruth Güllich und steuert strahlend auf die junge Gartenbesitzerin zu, die die Jury bereits erwartet. Ohne große Vorreden geht es los. Mit den Gartenbesitzenden warm zu werden oder das Gespräch in Fahrt zu bringen, damit hatte das Bewerterinnen-Duo bisher noch keine Probleme. „Wenn man sich für das Gleiche begeistert, hat man immer was zu reden“, sagt Güllich. Pluspunkte für Unordnung Direkt vor dem Haus fallen den beiden Bewerterinnen die verblühten Stauden auf, die dort auch jetzt im zeitigen Frühjahr noch stehen: Wilde Möhre, Thymian und Karde. Was für Ahnungslose unordentlich aussehen mag, zaubert Ruth Güllich und Christine Bollmann ein Lächeln ins Gesicht. Strukturen wie diese sind genau das, nach dem sie heute Ausschau halten. Denn da, wo die Natur sich entfalten darf, fühlen sich auch Vögel, Insekten und andere Tierarten wohl. „Ach, und die Hauswurz wächst, der ist es bei mir immer zu feucht“, stellt Ruth Güllich fest und blickt auf ein kleines grün-lila Gewächs mit dicken Blättern. „Bestimmt, weil das halt ein magerer Standort ist“, überlegt sie laut. Für sie und Bollmann gibt es in jedem Garten auch Inspiration für das eigene Reich. Kaum einen Garten verlassen die beiden ohne eine neue Idee oder ein Tütchen mit Samen einer besonders schönen oder ihnen bisher unbekannten Pflanze. „Es ist immer ein Weitergeben und Selbst-was-Mitnehmen“, sind sie sich einig. Den Gartenzaun entlang an einer Reihe aus dutzenden alten Baumstümpfen führt Gabi Neubert die Jury um das Haus herum. „Wie finden die Nachbarn den Garten?“, fragt Ruth Güllich, wohlwissend, dass ein naturnaher, wilder Garten bei den umliegenden Grundbesitzenden nicht immer auf Begeisterung stößt. „Ach, ich habe das Grundstück von meinen Eltern übernommen, der Garten war schon immer so, die kennen das nicht anders“, antwortet Neubert. Die Plakette will sie nicht, um sich für irgendetwas zu rechtfertigen. „Aber ich will zeigen, dass das keine Unordnung, sondern genau so gewollt ist.“ Blütenmeer und Baumparadies Hinter dem kleinen Haus eröffnet sich den beiden Bewerterinnen ein echtes Naturparadies. Ein Blütenmeer aus zartlila Krokussen und Schneeglöckchen erstreckt sich auf weiter Fläche, in der Luft liegt der würzige Geruch von Knoblauch. „Ah, Bärlauch“, stellt Ruth Güllich fest. „Ja, wenn es jetzt grün wird, machen meine Tochter Zartes Blütenmeer zwischen Totholz: Im Garten von Gabi Neubert darf Natur Natur sein.

FOTOS: FRANZISKA BACK (5), GABRIELE NEUBERT REPORTAGE und ich jeden Tag Naschtouren durch den Garten und probieren uns durch, von Bärlauch bis Gundermann“, entgegnet Neubert. Und noch etwas fällt dem Bewertungs-Duo sofort auf: Ein mächtiger Mammutbaum in der Mitte des Grundstücks. „Der Baumpfleger hat mir gesagt, das ist der höchste Baum im Ort“, erläutert Gabi Neubert der staunenden Jury. „Oben hat die Elster ihr Nest, am Stamm sehe ich immer wieder den Kleiber laufen und die Eichhörnchen fühlen sich da auch wohl.“ Das glauben ihr Güllich und Bollmann sofort und zücken die Handys für ein paar Bilder des 83 Meter hohen Kolosses. Auch nach so vielen Gärten gibt es immer wieder außergewöhnliche Entdeckungen, die dem Team imponieren. Auf insgesamt 1.600 Quadratmetern hat sich Gabi Neubert eine naturnahe Oase geschaffen. So viel Platz haben selbst im ländlich geprägten Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim die wenigsten Menschen, um sich zu verwirklichen, weiß die Jury. Umso mehr freuen sich die beiden Frauen, dass die junge Gartenbesitzerin ihre große Fläche nutzt, um verschiedenen Arten einen Lebensraum zu bieten. „Einmal habe ich einen Siebenschläfer schreien gehört, das hat mich wahnsinnig gefreut“, erinnert sich Neubert. Erlebnisse wie dieses zeigen ihr, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Im hinteren Teil des Gartens entdeckt die Jury einen großen Haufen aus Reisig. „Ich fahr nichts fort, das bleibt alles irgendwo auf dem Grundstück“, erläutert Neubert. Gut so, finden die Bewerterinnen: „Der Igel schreit: Juhu!“, ist sich Ruth Güllich sicher. Für Jubel sorgt auch ein kleines Becken in dem etwa 30 Zentimeter tief das Wasser steht und einen Lebensraum für zahlreiche Arten bietet. Frösche und andere Amphibien seien bisher zwar keine da, aber besonders Libellen würden sich hier im Sommer wohlfühlen. Genauso wie Mücken und andere Insekten, die den Vögeln wiederum als Futter dienen. Neben dem alten Baumbestand und den Sämereien ist das sicherlich einer der Gründe, warum sich hier regelmäßig so viele gefiederte Gäste tummeln. Auf einer Liste hat sich Gabi Neubert aufgeschrieben, welche Vögel sie im Jahresverlauf in ihrem Naturgarten beobachten kann: verschiedene Meisen, Amsel, Mönchsgrasmücke, Star, Zaunkönig, Stieglitz und Heckenbraunelle stehen unter anderem auf der Liste. Ungewöhnlichere Gäste wie der Kleinspecht schauen sich ebenso um. Auch wenn Letzterer Gabi Neubert kürzlich beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte, als er gegen die Fassade des Hauses hämmerte. „Das Holzhaus klingt anscheinend lecker“, erklärt sie sich den Vorfall. Inzwischen verausgabe er sich aber lieber wieder an dem zahlreichen Totholz im Garten. Und falls er hier brüten mag, hat die Gartenbesitzerin dem Trommler jetzt sogar einen speziellen Spechtkasten aufgehängt. Auch andere Nistkästen finden die Gartenbewerterinnen auf dem Grundstück. Ein weiterer Pluspunkt: der offene Kompost. Er gehört zwar nicht zu den Kriterien, die zwingend notwendig sind, um die Auszeichnung zu erhalten, fließt aber positiv in die Bewertung ein. Denn so ein Kompost ist eine wahre Speisekammer für Vögel, gerade wenn dort in den kälteren Monaten zahlreiche Würmer, Larven, Raupen und andere Insekten überwintern. Ein Pluspunkt ist auch der Efeu, der sich an dem kleinen Gartenschuppen zunächst hinaufschlängelt und auf dem Dach üppig wuchert. „Der darf auch blühen und Früchte tragen, sehr schön“, freut sich Ruth Güllich unter zustimmendem Nicken ihrer Co-Bewerterin. Etwas Wildnis geht überall Die beiden Frauen sind ein sichtlich eingespieltes Team. Während Christine Bollmann ruhig und mit wachem Auge jeden Baum begutachtet, übernimmt „Man braucht einen Traum. Und dann muss man einfach loslegen.“ 18 LBV MAGAZIN 2|24 1 2

Ehrenamtliche für vogelfreundliche Gärten im Einsatz Bayernweit haben die ehrenamtlichen Gartenjurymitglieder bereits über 3.000 Gärten als „vogelfreundlich“ ausgezeichnet. In der vergangenen Saison haben sich mehr als 500 Ehrenamtliche im Rahmen des Projekts engagiert. Die von LBV und LfU verliehene kostenlose Gartenplakette „Vogelfreundlicher Garten“ ist eine Wertschätzung und Auszeichnung von besonders vogelfreundlichen und artenreichen Gärten, egal ob groß oder klein. Mit der Auszeichnung soll ein Umdenken in Gang gesetzt und die Akzeptanz für etwas mehr Wildnis vor der eigenen Haustür erhöht werden. die Kommunikation größtenteils Ruth Güllich, die überall neue Highlights entdeckt. „Wir ergänzen uns“, findet sie. Zusammen haben die zwei schon allerhand Gärten zertifiziert, kein einziger war bisher dabei, der die Kriterien für die Plakette nicht erfüllte. Knapp sei es aber schon manchmal gewesen. „Ich finde es gut, dass der vogelfreundliche Garten recht niedrigschwellig ist, die Leute wollen eine Bestätigung für das, was sie machen, und wenn es erstmal nur ein Anfang ist“, findet Güllich. Zu spät, um mit dem naturnahen Gärtnern anzufangen, sei es nie. „Man braucht einen Traum. Und dann muss man einfach loslegen, vielleicht erstmal in einer Ecke Brennnesseln stehen lassen“, empfiehlt sie. Den Traum von Gabi Neubert haben die beiden Bewerterinnen nach über einer Stunde beinahe aus jedem Winkel bestaunt. „Ein besonderer Garten ist es allemal“, so viel nimmt Ruth Güllich schon einmal vorweg. Bei einer Tasse Tee gibt das Jury-Team der Teilnehmerin noch einmal ausführlich Feedback zum Garten und geht gemeinsam mit ihr jedes Kriterium der Bewertung durch: Die vielen heimischen Pflanzen seien lobenswert, die Kreativität beeindruckend. Einen Punkt nach dem anderen können die Bewerterinnen auf ihrer Kriterienliste abhaken. Wasser? Check. Totholz? Aber so was von. Steinhaufen? Ebenfalls vorhanden. Ein paar mehr beerentragende Sträucher wären vielleicht schön, geben die Gartenkennerinnen Gabi Neubert noch mit. „Und mach vielleicht in dein kleines Wasserbassin ein Holzscheit rein, vielleicht kommen dann mehr Tiere, um mal was zu trinken“, rät Ruth Güllich. Die Tipps nimmt Gabi Neubert dankbar an. Immerhin will sie in Zukunft noch mehr für die Artenvielfalt in ihrem Garten tun. „Ich will auf jeFRANZISKA BACK Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: franziska.back@lbv.de den Fall einen Sensenkurs machen, das ist mein kühner Traum“, erzählt sie. Und dann ist es endlich so weit: Feierlich zieht Christine Bollmann die grüne Plakette aus ihrer Tasche und überreicht sie der stolzen Gartenbesitzerin. Gleich draußen an dem Weidenzaun, der den Bewerterinnen schon zu Beginn aufgefallen war, soll das Schild seinen Platz finden. „Danke, dass du uns deinen Garten gezeigt hast“, bedankt sich Ruth Güllich. Denn das sei keine Selbstverständlichkeit. „Die Leute zeigen uns da etwas ganz Privates“, weiß sie. Wie jemand seinen Garten gestaltet, würde immerhin jede Menge über die Person aussagen. „Ich sag immer: Zeig mir deinen Garten und ich sag dir, wer du bist“, lacht sie. Wem sie heuer noch in den Garten blicken darf, darauf ist die Jury schon gespannt. Denn im ganzen Landkreis warten Menschen darauf, ihren Garten zertifizieren zu lassen. (1) Gabi Neubert (links) zeigt Ruth Güllich wild wuchernde Eselsdisteln. (2) Sommerlicher Blumenrausch. (3) Der Reisighaufen bietet Tieren Versteckmöglichkeiten. (4) Stolze Plakettenbesitzerin: Der Garten von Gabi Neubert hat überzeugt. (5) Bewerterin Christine Bollmann dokumentiert jedes Detail. (6) Bewerterin Ruth Güllich ist begeistert von den vielen alten Bäumen. LBV MAGAZIN 2|24 19 3 4 5 6

FOTO: FRANK DERER POLITIK Europas Bedeutung für Bayern Was hat die EU für den Naturschutz gebracht? Für den Naturschutz hat sich die EU als wichtigster Motor erwiesen, ohne den in den letzten Jahrzehnten in Deutschland wesentlich weniger geschehen wäre. Gerade vor dem Hintergrund der im Juni 2024 anstehenden Wahlen zum Europaparlament sollen hier die Errungenschaften der EU auch für Bayerns Natur gewürdigt werden. Die Vogelschutzrichtlinie der EU feierte 2019 ihr 40. Jubiläum und 2022 die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) ihr dreißigstes. Mit der Verabschiedung dieser beiden Richtlinien in den Jahren 1979 und 1992 haben die Mitgliedstaaten der EU die Voraussetzung für eine einzigartige Erfolgsgeschichte des Naturschutzes in Europa geschaffen. Beide Richtlinien bilden zusammen das Rückgrat des alle Mitgliedstaaten umfassenden Schutzgebietsnetzes Natura 2000. Ornithologische Fachverbände wie der LBV haben dabei durch die Erarbeitung eines Verzeichnisses der wichtigen Vogelgebiete (IBA) einen maßgeblichen Anteil an der Auswahl der Europäischen Vogelschutzgebiete (SPA) geleistet. Mit diesen Richtlinien haben die Mitgliedstaaten einen rechtlichen und fachlichen Rahmen erhalten, den sie mit Leben füllen müssen. Jagd auf Vögel Dies wird beim Artenschutz und der Jagd besonders deutlich. Denn die Vogelschutzrichtlinie gibt lediglich Grundzüge des Schutzes aller (!) in Europa vorkommenden Vogelarten vor, den die Mitgliedstaaten dann nach eigenem Recht umsetzen können. So werden in der EU jährlich ca. 52 Millionen Vögel legal durch Jägerinnen und Jäger getötet. Für viele der betroffenen Arten, zum Beispiel Bekassine und Kiebitz, werden jedoch Schutzmaßnahmen in ihren Brutgebieten umgesetzt, da sie in einem besorgniserregenden Erhaltungszustand sind, was durch legale wie illegale Entnahmen konterkariert wird. Die in Deutschland aktiven Vogelschutzverbände wie der LBV haben deshalb immer wieder gefordert, dass sich Deutschland auf allen politischen Ebenen in Europa für eine verbesserte Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie einsetzen muss. Ziel muss sein, dass die legale Jagd auf jagdbare Vogelarten, deren Bestand rückläufig oder gefährdet ist, in den Mitgliedstaaten der EU eingestellt wird. Außerdem soll auch die illegale Bejagung konsequenter verfolgt werden. Die bisherigen Bestrebungen waren durchaus erfolgreich, indem zum Beispiel jagbare Arten gestrichen wurden. Und Der Wiesenpieper ist eine der Arten, deren Bestände in den letzten Jahren trotz Gebietsschutz stark zurückgehen. 20 LBV MAGAZIN 2|24

LBV MAGAZIN 2|24 21 FOTO: GUNTHER ZIEGER auch der europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat maßgeblich dazu beigetragen, Missstände in Ländern wie Italien, Spanien, Malta oder Frankreich zu verurteilen und Verbesserungen beim Schutz der Zugvögel herbeizuführen. Vor allem einige Wat- und Wasservogelarten profitieren von Einschränkungen der Jagdzeiten oder von Jagdverboten. Erfolgreiche Schutzmaßnahmen Auch wenn noch nicht alle Probleme ausgeräumt sind, haben viele Vogelarten insbesondere von den artenschutzrechtlichen Regelungen der Vogelschutzrichtlinie profitiert. Die Bestände einiger Großvogelarten wie Weißstorch, Schwarzstorch, Kranich, Seeadler und Uhu haben sich durch gezielte Artenschutzmaßnahmen erholt. Die Roten Listen und wissenschaftliche Studien belegen, dass sich der Erhaltungszustand vieler Vogelarten des Anhangs I der Vogelschutzrichtlinie durch die Ausweisung von Europäischen Vogelschutzgebieten deutlich verbessert hat. Die Bestände von nicht in Schutzgebieten konzentriert lebenden Vogelarten, insbesondere der Feld- und Wiesenvögel wie dem Braunkehlchen oder dem Wiesenpieper, hingegen nehmen seit Jahren massiv ab. Diese besorgniserregende Entwicklung setzt sich aktuell weiter fort, was als Tendenz auch bei vielen FFH-relevanten Schutzgütern wie Amphibien und artenreichem Grünland festzustellen ist. In der Konsequenz wird von hochrangigen Politikern auf nationaler und EU-Ebene seit vielen Jahren immer wieder festgestellt, dass ein erfolgreicher Naturschutz in der Offenlandschaft nur mit einem Richtungswechsel in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) möglich sei. Es bedürfe hier weiterer, ganz erheblicher Anstrengungen. Die Vögel der Agrarlandschaft ist in der Tat die Vogelgilde, die am meisten zurückgeht und folglich die höchsten Kategorien der Roten Liste einnimmt. Beim Rebhuhn wurde seit 1980 europaweit ein Bestandsrückgang um mehr als 90 Prozent verzeichnet. Viele früher weit verbreitete Wiesenbrüterarten wie Brachvogel oder Bekassine kommen in manchen Bundesländern fast nur noch in europäischen Vogelschutzgebieten vor. Und selbst dort haben sie vielfach keinen günstigen Erhaltungszustand. Zum Glück gibt es in Deutschland aber auch Beispiele dafür, dass die Schutzgebiete in Kombination mit geeigneten Maßnahmen außerhalb der Natura 2000-Kulisse einen wirksamen Beitrag leisten können wie bei Wanderfalke und Wiesenweihe. Stärken und Schwächen der Richtlinien Über die letzten zwölf Jahre geht bei einem knappen Drittel der für die Europäischen Vogelschutzgebiete wertgebenden Arten der Bestand bei uns zurück. Ein wirksamer Schutz wurde also offensichtlich noch nicht erreicht. Das liegt überwiegend daran, dass die Umsetzung der für alle Natura 2000-Gebiete zu erstellenden Managementpläne kaum erfolgt – sofern sie von den zuständigen Behörden denn überhaupt erstellt wurden. Das hat im September 2023 auch der EuGH in einem Urteil gegen Deutschland bemängelt. Allerdings ist er einem anderen Punkt der EU leider nicht gefolgt. Sie hatte in ihrer Klageschrift eingefordert, klare quantitative und zeitliche Ziele für die FFH-Gebiete vorzugeben. Denn auch aus Sicht des LBV könnte nur eine verbindliche Festlegung von Erhaltungszielen entsprechende Erfolge bringen. Die in Bayern nach wie vor bevorzugte Strategie der Freiwilligkeit hat sich in diesem Zusammenhang nur unzureichend bewährt. Wie gut die Richtlinien im Grundsatz tatsächlich ausgearbeitet sind, bestätigte 2016 der sogenannte Refit-Prozess. Hierbei hatten sich im Rahmen einer öffentlichen europaweiten Anhörung mehr als eine halbe Million EU-Bürgerinnen und -Bürger beteiligt, um ihre Meinung zum europäischen Naturschutz zu äußern. Die überwältigende Mehrheit der Menschen befürwortete die europäische Biodiversitätsstrategie, die ganz wesentlich von FFH- und Vogelschutzrichtlinie getragen wird. Zum Abschluss dieses öffentlichen Beteiligungsverfahrens konnte der damalige EU-Kommissionspräsident Juncker feststellen: „FFH- und VogelschutzRichtlinien sind im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie höchst relevant und erfüllen ihren Zweck.“ Dabei hat sich allerdings auch gezeigt, dass eine erhebliche Finanzierungslücke und ein Mangel in der Vernetzung mit anderen Politik- „Natura 2000 ist eine herausragende Leistung der EU für die Biodiversität.“ Der Kranichbestand hat sich in den letzten Jahrzehnten dank des europaweiten Schutzes gut erholt.

22 LBV MAGAZIN 2|24 FOTOS: DR. CHRISTIAN STIERSTORFER, ANDREAS HARTL, DR. ANDREAS VON LINDEINER POLITIK feldern bestehen. Dies verhindert, dass die Richtlinien ihr vollständiges Potenzial entfalten können. Hier gilt es aus Sicht des LBV dringend nachzujustieren. Wie muss es weitergehen? Nach dem Urteil des EuGH vom September 2023 wegen der unzureichenden Umsetzung der FFH-Richtlinie fordert der LBV von EU, Bund und Ländern: • Dem anhaltenden dramatischen Rückgang von Vogelarten der Kulturlandschaft – insbesondere im Agrarland – und artenreicher Wiesen endlich konsequent entgegentreten. Hierzu muss durch die Agrarpolitik mit angepassten Förderprogrammen eine naturverträgliche Landwirtschaft ermöglicht werden. • Ein auf die jeweiligen Natura 2000-Gebiete und ihre Zielarten angepasstes Management (fachlich, organisatorisch) etablieren und ausreichend finanzieren. • Bestehende Schutzmaßnahmen für Vogelarten innerhalb und außerhalb der Schutzgebiete verstärken, um ihre Wirkung zu optimieren. Die Vogelschutz- und FFH-Richtlinie können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn: • Die legale Jagd auf gefährdete, speziell geschützte Vogelarten bzw. solche mit ungünstigem Erhaltungszustand in der EU eingestellt wird. • Weitere konsequente Maßnahmen gegen illegalen Fang und Tötung von Zugvögeln in der EU ergriffen werden. • Kooperationen mit Ländern außerhalb Europas, die entlang der Zugrouten europäischer Brutvögel liegen, verstärkt werden, um Rast- und Überwinterungsgebiete effizient schützen zu können. • Über die Bemühungen im Naturschutz hinaus in allen anderen relevanten Politikfeldern und Förderprogrammen die Bedürfnisse geschützter Arten und ihre Lebensraumansprüche berücksichtigt werden. • Systematische Bestandserfassungen der Zielarten und -lebensräume in den Schutzgebieten in regelmäßigen Abständen vorgenommen werden, um mit diesem Monitoring die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen sowie den Erhaltungszustand bewerten und optimieren zu können. • Die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger verstärkt informiert und in die Umsetzung von Maßnahmen eingebunden werden. • Die Ziele von Natura 2000 vor Ort noch besser kommuniziert und vermittelt werden. Wasserrahmenrichtlinie und Green Deal Auch andere EU-Rechtsvorschriften haben deutliche Impulse gesetzt. So wurde es mit der Verabschiedung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) möglich, Gewässerschutz von der Quelle bis zur Mündung im Gewässer-Einzugsgebiet durchzuführen. In Deutschland werden dafür zehn Flussgebietseinheiten ausgewiesen. Diese Einzugsgebiete der großen Fließgewässer Donau, Eider, Elbe, Ems, Maas, Oder, Rhein, Schlei/Trave, Warnow/Peene und Weser decken das komplette Gewässernetz in Deutschland ab. Sie bilden die Das SPA Rainer Wald ist einer der letzten großen Auwald- und Bruchwaldreste der Donau-Niederterrasse und größtes LBVSchutzgebiet. Er wird konsequent zu einem Naturwald entwickelt. Die Camargue ist ein wichtiger Zwischenstopp für viele Brachvögel auf ihrem Zug von den bayerischen Brutgebieten in die Überwinterungsgebiete auf der Iberischen Halbinsel oder in Nordafrika.

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